© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Wäre schön, wenn mal wieder alles in Ordnung wäre
Cora Stephans Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Verirrungen und die wünschenswerte Rückkehr zum „Normalen“
Erik Lommatzsch

Woher nur nimmt Cora Stephan diesen – durchaus beneidenswerten – Optimismus? In einem Parforceritt, der kaum einen Bereich unberührt läßt, präsentiert sie den politisch-gesellschaftlichen Veränderungsirrsinn, der vor allem in den letzten Jahren immer rasanter an Fahrt aufgenommen hat, die Folgen der Meinungsführerschaft der Institutionenmarschierer von 1968 und deren Erblast, die Abkehr von Vernunft und Rationalität. Dem Ganzen stellt Stephan ihr „Lob des Normalen“ entgegen. 

Den Fokus lenkt sie immer wieder auf die Beharrungskräfte des „Normalen“, des in unserem Land, in Europa und in der westlichen Welt Normalen. Dessen Dauer oder Rückkehr erkennt sie nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Corona-Situation. Etwa die „noch kurz zuvor für unwiderruflich gehaltene Globalisierung“ sei „zum Stillstand“ gekommen. 

Die Ehe habe Konjunktur, man erkenne den Fürsorgeaspekt, die „Privatsphäre gegen die Übermacht des Politischen“. Es gebe eine „mehr oder weniger neue Sehnsucht nach Heimat“, das Lokale und Regionale spiele wieder eine größere Rolle. Es zeige sich – wieder – daß der Nationalstaat „der perfekte Kompromiß zwischen Globalisierung und Stammeskultur“ sei, er sei „die schützende Hülle für Rechts- und Sozialstaat“. 

Fürs Überleben seien die Normalen wichtig, nicht die Paradiesvögel, auch wenn man die nicht missen wolle. Die Normalen betrachteten Deutschland nicht lediglich als „Siedlungsgebiet für alle möglichen Identitäten und Parallelgesellschaften, sondern als Ort von Menschen mit einer weitgehend gemeinsamen Vergangenheit, Kultur und Sprache“. Normal sei, was Gewohnheit begründe, „etwas, das man nicht erklären muß“. Man könne sich darauf verlassen, es funktioniere und schaffe Orientierung. Ignoranter Engstirnigkeit wird dabei nicht das Wort geredet. Das Normale sei nicht lediglich eine Norm, die einmal per Willkürakt festgelegt wurde.

Ihre Darlegungen gruppiert Stephan in Kapiteln wie „Krieg der Geschlechter“, „Das Eigene und das Fremde“ oder „Diktatur der Moral“. Zur Untermauerung der These von der nicht zu brechenden Beständigkeit des Normalen wird eine Reihe von Aspekten zusammengeführt. Verschiedene Stimmen kommen zu Wort. So David Goodhart, auf den die Gegenüberstellung der „Somewheres“ und „Anywheres“ zurückgeht, also der „Verwurzelten“ und derjenigen, „die jeden Flughafen der Welt kennen“, Ruud Koopmans mit seinen Überlegungen über das „verfallene Haus des Islam“ oder Alain Finkielkraut, der den Antirassismus für den „Kommunismus des 21. Jahrhunderts“ hält. Bekanntes und zugleich Beunruhigendes wird eingeflochten, etwa eine Bundeskanzlerin, die nicht mehr „deutsches Volk“ sagen mag, sondern von denjenigen spricht, „die schon länger hier leben“, eine Integrationsstaatsministerin, die meinte, unser Zusammenleben müsse „täglich neu ausgehandelt werden“, oder ein Staatsoberhaupt, das „Deutschland nur mit gebrochenem Herzen lieben kann“. 

Pointiert stellt sie Autorin fest, daß Martin Luther King nicht „50 Prozent der Sitzplätze für Schwarze“ wollte, sondern „daß sich jeder hinsetzen darf, wo er sich hinsetzen will“. Mannigfach sind die Widersprüche und die Paradoxa, die nicht nur Stephan in den derzeit bestimmenden und medial breit unterstützten Linien ausmacht. Wofür ist es wichtig, daß Frauen und Männer gleichermaßen in Parlamenten vertreten sind, wenn doch angeblich zwischen Männern und Frauen kein Unterschied besteht? Wieso machen weibliche Neigungen die Welt zu einem besseren Ort, wenn das Geschlecht lediglich ein Konstrukt ist? 

Die Hoffnung auf Rückkehr des Normalen ist trügerisch

Wenn es keine biologisch fundierten Rassenunterschiede gibt – warum gibt es dann Medikamente, auf die Schwarze, Weiße und Asiaten unterschiedlich reagieren? Stephan stellt treffend fest, daß Biologie und Natur der „Genderista“ das „Wunschkonzert“ verderben. Auch scheint in Vergessenheit geraten zu sein, daß es einen Unterschied zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit gibt. Warum kann man Weiße nicht rassistisch beleidigen? Warum wird behauptet, der Tod des Kriminellen George Floyd sei Ergebnis eines „systemischen“ Rassismus, während bei Verbrechern, die sich auf Allah berufen, ein System generell in Abrede gestellt wird. Oder im Falle, daß dies doch geschieht, von Rassismus gegen den Islam gesprochen wird – ein vielfach nachgeredeter Unsinn, da der Islam nun wahrlich keine Rasse ist. Unverständlich ist auch der „seltsame Burgfrieden“ zwischen Feministinnen und Muslimen. Neuerdings werden Diskriminierungen auch „intersektional“ ausgemacht, das heißt, das Opfer leide unter verschiedenen Diskriminierungen, wodurch eine „Opferhierarchie“ entstanden ist. Dabei herrschte seit geraumer Zeit im besten Sinne Toleranz gegenüber Minderheiten und Fremden. Stephan fragt, ob man dem Normalen dies dann immer noch „geradezu einbleuen“ müsse. Und liefert gleich eine klare Antwort: „Es nervt.“ 

Die Bestandsaufnahme ist treffend und schmerzlich. Der Hoffnung auf das – viel zu leise – Normale, die Stephan immer wieder beschwört, der Vermutung, die Absurditäten erledigten sich demnächst von selbst, würde man sich gern anschließen. Indes: Der aufmerksame Beobachter sieht da eher eine immer weiter voranschreitende „Cancel Culture“. Er sieht, daß das föderale System, welches die Autorin zum Zeitpunkt der Abfassung ihres Buches bezüglich der Corona-Politik der Bundesregierung noch als „Gegengewicht gegen alle Versuche eines autoritären Durchregierens“ gelobt hat, inzwischen in die Knie gegangen ist. Und er sieht eine Kanzlerin, die ungebrochen unter Mißachtung des eigenen Landes auf Klima- und Weltrettung setzt, eine Agenda, von der der präsumtive Nachfolger kaum abweichen wird. 

Cora Stephan: Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten. FinanzBuch Verlag, München 2021, gebunden, 238 Seiten, 16,99 Euro