© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Für Linke allerlei Kröten zum Schlucken
Der kanadische Kulturkritiker Jordan Peterson fügt seinen zwölf Lebensregeln weitere zwölf Regeln „jenseits der Ordnung“ an
Erich Weede

Jordan B. Peterson ist klinischer Psychologe und Therapeut, Professor an der Universität Toronto und vor allem als Kulturkritiker im angelsächsischen Raum bekannt. Der Buchtitel deutet bereits an, daß Peterson nicht jede Ordnung oder jede Tradition erhalten will, daß er auch ein Befürworter von Freiheit, Fortschritt und Innovation sein will. Aber das ändert nichts daran, daß er ein Konservativer ist, denn die Beweislast dafür, daß Neuerungen Fortschritt und nicht alberne Moden sind, die haben bei ihm die Neuerer. Das ist auch gut so, denn spätestens seit dem Nobelpreisträger für Wirtschaft Hayek, auf den sich Peterson allerdings nicht bezieht, sollten wir wissen, daß es implizites und explizites Wissen gibt, daß Traditionen ein Reservoir impliziten Wissens enthalten, das man nicht unbedacht aufgeben sollte. Diese konservative Einstellung wird gleich am Anfang deutlich, wo Peterson in der ersten Regel empfiehlt: „Machen Sie soziale Einrichtungen – hier könnte man auch sagen: Institutionen und Traditionen (...) nicht gedankenlos schlecht.“ 

Peterson stellt die Pflichten eher in den Vordergrund

Allen Linken und Grünen wird hier eine Anzahl von Kröten zum Schlucken angeboten: der Hinweis auf natürliche Fähigkeitsunterschiede unter den Menschen, die befriedende Wirkung von Hierarchien und der wünschbare Zusammenhang von Kompetenz und Positionszuweisung in Hierarchien. Vor allem Anfängern und jungen Leuten empfiehlt er einzusehen, daß man sich auch in bescheidenen Positionen einfügen und bewähren sollte. In der zweiten Regel gesteht er zwar Selbstverwirklichung zu, betont aber vor allem die Notwendigkeit von Zielstrebigkeit. Nach der dritten Regel muß man sich auch unangenehmen Tatsachen stellen. Wenn man die vierte Empfehlung, nämlich Verantwortung zu übernehmen, im hierarchischen Zusammenhang der ersten Regel und der Zielstrebigkeit der zweiten Regel sieht, ist klar, daß bei Peterson die Pflichten und weniger die Rechte der Menschen in den Vordergrund gestellt werden. Später sagt er auch explizit, daß in der westlichen Zivilisation die Rechte zu sehr und die Pflichten zu wenig betont werden, und daß dies schlechte Erziehungsprinzipien seien. 

Die fünfte Regel „Tun Sie nichts, was Sie verabscheuen“ macht mit Hilfe der Beispiele aus dem Bereich der Politischen Korrektheit klar, daß man nicht jeden Unsinn zu Vielfalt, Inklusion und Gleichbehandlung mitmachen sollte. Die sechste Regel lehnt Ideologien – darunter explizit auch den Marxismus –, intellektuelle Faulheit und Mißgunst ab, empfiehlt zuerst das eigene Leben und nicht die Welt in Ordnung zu bringen. Obwohl Peterson den Namen nicht nennt, läßt sich kaum vermeiden, dabei an Greta Thunberg und deren Gefolgschaft zu denken.  

Der Begleittext zur siebten Regel macht die Beherrschung einer Angelegenheit zur Voraussetzung dafür, daß man sich um Abweichung mit dem Ziel der Verbesserung kümmern darf. Bei der achten Regel geht es um Schönheit und Kunst, bei der neunten um die Vermeidung von Verdrängung, bei der zehnten um Romantik in der Ehe. Nach Peterson sind traditionelle Rollen und Leitbilder auch hier nützlich und hilfreich. Die elfte Regel warnt vor Verbitterung, Betrug und Arroganz, die zwölfte empfiehlt auch im Leiden Dankbarkeit für das Leben. 

Der Stil der Darstellung ist ein rascher Wechsel der Perspektiven. Mal geht es um therapeutische Erfahrungen, oft um Deutungen von Bibeltexten, vereinzelt auch um andere religiöse oder philosophische Texte, oft um Literatur von Dostojewski bis Harry Potter. Das Buch ist mit Sicherheit kein wissenschaftlicher Text. Es fehlt nicht nur die Falsifizierbarkeit von allgemeinen Aussagen, sondern auch die Systematik, die man in Freuds Psychoanalyse schon finden kann. An welche Leser der Verfasser denkt, bleibt unklar. Das Buch verbreitet gesunden Menschenverstand, mehr nicht, aber immerhin das. 

Jordan B. Peterson: Beyond Order. Jenseits der Ordnung. 12 weitere Regeln für das Leben. FinanzBuch Verlag, München 2021, gebunden, 399 Seiten, 23 Euro