© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/21 / 28. Mai 2021

Der Flaneur
Bekanntschaft mit Camilla
Paul Leonhard

Kaum habe ich das Landschaftsschutzgebiet mit der schwarzen Eule auf gelben Grund betreten, spricht sich mein Erscheinen herum. Alle beäugen mich skeptisch, tauschen sich über ihre Eindrücke aus. Da ich aber keinen Zentimeter vom Trampelpfad abweiche, bin ich bald wieder vergessen, wird wieder ohrenbetäubend gezwitschert und tiriliert, auch wenn ich keinen einzigen der gefiederten Sänger im dichten Grün entdecke.

Auch das Ufer der Kiesgrube ist schon gut besiedelt. Ausgerechnet an der engsten Stelle des Strandes hat sich eine aus drei Generationen bestehende Familie niedergelassen und murrt vor sich hin, weil nun alle anderen auf der Suche nach freien Stellen über ihre ausgebreiteten Decken balancieren und keiner nur eine Sekunde daran denkt, ins kalte flache Wasser oder ins stachlige Schilf auszuweichen.

Überhaupt zeigen die Alten deutlich mehr, während die Jungen geradezu züchtig sind.

In meiner Lieblingsbucht liegen schon zwei Grazien in der Sonne und lauschen in meinen Ohren gewöhnungsbedürftiger Musik. Ich hocke mich dennoch in gebührenden Abstand daneben, schaue auf den See und den Freizeitsportlern zu, die sich auf Skiern über das Wasser ziehen lassen und sich Mühe geben, nicht ins Naß zu fallen.

Freiwillig ins Wasser geht nur Camilla, und das nur bis zum Bauch. Sie sorgt auch dafür, daß das Schweigen bricht. Sie hat sich mir unauffällig von hinten genähert und stupst mich einfach an. Prompt reagieren die beiden Schönheiten, rufen und locken. Vergeblich. Wir widerstehen. Und da Camilla mich offenbar sympathisch findet, kommt eine der jungen Frauen über den Kies zu mir geschlendert, um sich für Camilla zu entschuldigen und diese an die Leine zu legen.

Der nackte Rentner, der breitbeinig am Ufer seinen Körper in die Sonne streckt, bleibt unbeachtet. Überhaupt sind die Alten geradezu aufdringlich freizügig, während sich die Jugend dagegen geradezu züchtig gibt, ihre Reize nur dezent andeutend. Das stellen auch ein paar junge „Fachkräfte“ fest, die, viel zu warm bekleidet, zur Fleischbeschau an den Baggersee gekommen sind und enttäuscht wieder abziehen.