© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Wahl in Sachsen-Anhalt
Quittung für Opportunismus
Dieter Stein

Bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag sehen einzelne Umfrageinstitute die AfD in Sachsen-Anhalt bereits als stärkste Partei. Bei der regierenden CDU unter Ministerpräsident Reiner Haseloff bricht in der Schlußphase des Wahlkampfes Panik darüber aus, wie sie die größte Oppositionskraft noch abschütteln könne. Und es setzt wieder das allgemeine Rätselraten ein, weshalb die AfD in den östlichen Bundesländern solchen Zulauf hat.

Ein Weg, um der AfD noch mehr Bürger in die Arme zu treiben, ist, mit Arroganz über ihre Wähler zu urteilen. Marco Wanderwitz, „Ostbeauftragter“ der Bundesregierung, übte sich präventiv in Wählerbeschimpfung, indem er den Trend zur AfD damit begründete, man habe es dort eben mit Menschen zu tun, die „auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“. Das Gegenteil scheint richtig zu sein: Aufgrund der DDR-Erfahrung gibt es ein feines Sensorium für Konformismus, eine Allergie gegen verordnetes Funktionärsdeutsch und Politische Korrektheit. 

Haseloff machte jetzt im Gespräch mit der Welt am Sonntag im Gegensatz zu Wanderwitz ganz andere Ursachen für die AfD-Erfolge aus: Es gebe einen „geballten Frust“, der durch die „Hybris auf der linken Seite des politischen Spektrums“ entstanden sei. Bürger fühlten sich „nicht ernst genommen“ von bevormundenden Debatten, „linker Identitätspolitik“ und „Cancel Culture“, wenn „bestimmte Dinge nicht mehr thematisiert werden dürfen, sondern tabuisiert sind“. Und die Gender-Sprache nerve viele Leute, so Haseloff, weil sie „mit den Lebenswelten vieler Menschen nicht mehr das geringste zu tun hat“. Volltreffer und Haken dran, oder?

Doch die Preisfrage lautet, lieber Herr Haseloff: Warum nutzt dieser linke Quatsch überhaupt der AfD und nicht der CDU? Richtig: Weil die CDU schon seit längerem vor dieser metapolitischen Lufthoheit der Linken über Schreibtischen in Redaktionen und Universitäten in die Knie gegangen ist. Weil die CDU in einer von ihrer Dauerkanzlerin Merkel verfochtenen genialen Strategie der asymmetrischen Demobilisierung schon vor Jahren aufgehört hat, einen gegen die Linke klar polarisierenden Lagerwahlkampf zu führen. Und weil Merkel zur Geburtshelferin der AfD wurde, indem sie – Stichwort Cancel Culture – 2010 Thilo Sarrazins Buch als „nicht hilfreich“ brandmarkte oder 2015 die Grenzen für illegale Massenmigration öffnete.

Deshalb muß die CDU nun als Geisel (oder nützlicher Idiot) einer von ihr mitgetragenen linken Gesellschaftspolitik, Arm in Arm mit den übrigen „demokratischen Parteien“ (Wanderwitz) einschließlich SED-Linke und Grüne, die AfD zum „Hauptgegner“ (Haseloff) erklären. Ein Treppenwitz. Und gut, daß die Demokratie funktioniert und Opportunismus irgendwann auch bestraft wird.