© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Größer fünf?
Landtagswahl I: Die Freien Wähler hoffen auf einen Überraschungserfolg an der Elbe
Hinrich Rohbohm

Sie sind die Überraschung des Jahres 2021. Als am 14. März dieses Jahres die Stimmen zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ausgezählt waren sorgten die Freien Wähler (FW) mit dem Überspringen der Fünfprozenthürde für Furore. Nach Bayern und Brandenburg ist es das dritte Bundesland, in dem die noch junge Partei im Landtag mitmischt.

Legen sie noch weiter zu, könnten die Freien Wähler am kommenden Sonntag bei der Wahl in Sachsen-Anhalt sogar den Sprung ins vierte Landesparlament schaffen. Umfragen zufolge liegt die Partei derzeit bei drei Prozent. Doch auch in Rheinland-Pfalz hatten die Demoskopen sie kurz vor der Wahl noch unterhalb der Fünfprozenthürde gesehen.

Eigentlich wollten die Freien Wähler nie eine richtige Partei sein. Schließlich sind sie aus den Zusammenschlüssen kommunaler Wählergemeinschaften entstanden, Gruppierungen, deren Anspruch es stets war, sich an den Problemen ihrer Kommune vor Ort zu orientieren. Was auf kommunaler Ebene gut funktionierte, stieß auf überregionaler Ebene an Grenzen. Denn in den meisten Bundesländern besteht nur als Partei die Möglichkeit, für das Landesparlament zu kandidieren. Eher widerstrebend schloß man sich daher unter der Dachmarke „Freie Wähler“ zusammen.

2008 gelang den FW in Bayern erstmals der Einzug in ein Landesparlament. Zehn Jahre später ist sie als Koalitionspartner der CSU an der Regierung. Ihr Zugpferd ist Hubert Aiwanger, ein gelernter Landwirt und ehemaliger Stipendiat der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, der die Freien Wähler seit 2010 als Bundesvorsitzender führt. Mit ihm bespielt die Partei neben ihrer Kernkompetenz Kommunalpolitik vor allem die Themen des ländlichen Raumes. Aber auch Kritik am Euro, der Zuwanderungspolitik sowie an der Verschärfung des Waffenrechts ist von Aiwanger zu vernehmen. 2014 zog die Partei zudem mit einem Mandat ins Europaparlament ein. Fünf Jahre später errang sie dort sogar zwei.

In Sachsen-Anhalt gibt sich die Landesführung der Freien Wähler betont optimistisch, man sieht gute Chancen für einen Einzug in den Magdeburger Landtag. Der Optimismus kommt nicht von ungefähr. Vor allem zahlreiche Unionspolitiker wechselten in den vergangenen Jahren zu den Freien Wählern. 

Vorwurf der „Übernahme“ durch Ex-CDU-Mitglieder

Erst vor kurzem war Nico Schulz zu ihnen gestoßen, ein ehemaliger CDU-Funktionär, der sich mit der Partei überworfen hatte. Schulz gehörte zuvor dem CDU-Landesvorstand an, war Partei- und Fraktionschef in der Stadt Osterburg. Zudem war er bereits von 2002 bis 2011 für die Christdemokraten Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Havelberg-Osterburg, ehe er 2011 Bürgermeister der Stadt Osterburg wurde. Vor drei Jahren bestätigten ihn die Bürger mit 85 Prozent. Jetzt zieht er auf Listenplatz 2 für die FW in den Wahlkampf. Einige trauen ihm sogar das Direktmandat zu.

Spitzenkandidatin der Freien Wähler im Bundesland, das nicht mehr mit dem Motto, „Land der Frühaufsteher“ zu sein, sondern mit „moderndenken“ für sich wirbt, ist die 51 Jahre alte Landesvorsitzende Andrea Menke. Sie war einst stellvertretende Landesvorsitzende der Frauen Union in Sachsen-Anhalt. Zusammen mit sieben weiteren Mitgliedern hatte sie 2019 die CDU verlassen. Darunter war auch ihr Ehemann, Johannes Menke, ein Rechtsanwalt, der aufgrund eines Streits um nicht gezahlte Sonderbeiträge von Mandatsträgern ohnehin schon seit längerem im Dauerclinch mit der CDU-Führung in Halle gelegen hatte.

Streit gibt es auch bei den Freien Wählern. Angesichts ihrer steigenden Chancen, sich überregional zu etablieren, nimmt die Bedeutung ihrer politischen Ausrichtung zu. Mit ihrer „liberalen und wertkonservativen“ Positionierung könnte sie für jene Wähler als bürgerliche Alternative interessant werden, die von CDU und FDP frustriert sind, denen die AfD als Alternative aber zu radikal geworden ist. Eine solche Partei würde im Falle eines Parlamentseinzuges das Spektrum der bürgerlichen Mitte verbreitern und den Einfluß der politischen Ränder schwächen.

Doch nicht jeder will die FW so positioniert sehen. Entsprechend tobt hinter den Kulissen bereits ein Richtungskampf. Da ist etwa der fraktionslose Landtagsabgeordnete und „Parteienhopper“ Jens Diederichs. Zu DDR-Zeiten Mitglied der SED, tritt der heute 57jährige 2011 der SPD bei. Drei Jahre später wechselt er zur AfD und wird dort 2016 Landtagsabgeordneter. Ein Jahr später schließt er sich im Landtag der CDU-Fraktion an, um Anfang 2020 bei den Freien Wählern anzuheuern. Das tat auch Jost Riecke, der zuvor mit seiner Kandidatur für den SPD-Landesvorsitz gescheitert war, daraufhin aus der Partei austrat und nun als Magdeburger FW-Kreisvorsitzender fungiert. Riecke bewarb sich auch für die Spitzenkandidatur der Partei der Parteilosen, unterlag Menke jedoch deutlich mit 67 zu 10 Stimmen. 

Riecke, Diederichs und vier weitere FW-Kreisvorsitzende griffen darauf den FW-Landesvorstand an, sprechen nun von einem „undemokratischen Listenparteitag“ und einer „Übernahme“ der FW durch ehemalige CDU-Leute. Bei wachsendem Erfolg der Freien Wähler dürften sich solche Vorfälle noch häufen.