© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

„Die Bürger wollen Veränderung“
Landtagswahl III: Die AfD könnte in Sachsen-Anhalt vor der CDU zur stärksten Kraft werden / Interview mit Spitzenkandidat Oliver Kirchner
Christian Vollradt

Aus dem Stand schaffte es die AfD 2016 in Sachsen-Anhalt, zweitstärkste Kraft im Landtag zu werden. Kommende Woche will die Partei an die Sensation von vor fünf Jahren anknüpfen. Im Kopf-an-Kopf-Rennen mit der regierenden CDU hat sie in einigen Umfragen sogar die Nase vorn. Dabei lief die erste Legislaturperiode im Landtag von Magdeburg nicht ohne Blessuren: Vier Mandatsträger verließen die Fraktion, darunter auch der ehemalige Vorsitzende André Poggenburg, dem seine Leute nach heftigen Machtkämpfen das Vertrauen entzogen hatten. Der Verband gilt zudem als Hochburg des offiziell aufgelösten „Flügels“ und wird mittlerweile vom Verfassungsschutz des Landes als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet. Andererseits ist es der AfD im Landtag zuweilen gelungen, die Kenia-Koalition vor sich her zu treiben. So etwa, als Abgeordnete der CDU dem AfD-Antrag für eine Enquete-Kommission zum Thema Linksextremismus zugestimmt hatten. Kaum überraschend, daß Spitzenkandidat Oliver Kirchner (siehe Seite 3) im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT zuversichtlich auf Sonntag schaut. 

Herr Kirchner, die neueste Umfrage sieht Ihre Partei bei 26 Prozent – noch vor der CDU. Normalerweise stellt die stärkste Kraft den Ministerpräsidenten. Bereiten Sie sich schon auf Ihren Einzug in die Staatskanzlei vor?

Kirchner: Wir haben, wenn wir es richtig angehen, bei dieser Wahl die große Chance, zur stärksten politischen Kraft in einem Bundesland zu werden. Der starke Rückhalt zeigt das Vertrauen in die AfD in Sachsen-Anhalt und unsere konsequente politische Haltung. Die Bürger wollen eine Veränderung im Land. Wir sind bereit, Verantwortung zu tragen. Ein Weiter-so dieser Regierung wird es mit uns aber nicht geben. Die CDU hat in den letzten Jahren eine irrationale linke Identitätspolitik mitgetragen – zum reinen Machterhalt und zum Schaden unserer Bevölkerung. Mit dieser Linie und den aktuellen Protagonisten scheidet die CDU daher als Koalitionspartner aus. Die Rolle der Opposition steht der AfD gut. Wir haben viel bewegt und werden diesen Druck auch zukünftig in das Parlament tragen, es sei denn man gibt uns einen Regierungsauftrag. 

Auf Ihr Angebot, einen – anderen – CDU-Ministerpräsidenten mitzuwählen, wird man sicherlich nicht eingehen. Bedeutet das nicht im Umkehrschluß: Wer AfD wählt, sichert Grünen und SPD das Ticket in die Landesregierung?

Kirchner: Wir wählen keinen Ministerpräsidenten der CDU mit. Je nachdem wie das Ergebnis ausfällt, stellen wir ja vielleicht selbst einen. Eine breite Mehrheit will eine Veränderung der Politik. An den Inhalten der AfD und damit an den Anliegen der Bürger kommen die Parteien nicht vorbei. Sie müssen – und voran die bürgerlichen Parteien CDU und FDP – erklären, warum sie die AfD entgegen dem Wählerwillen negieren wollen. Wir sind bereit zu kooperieren und Lösungen zum Wohle der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt zu finden. Einen weiteren ideologischen Umbau unserer Wirtschaft, eine arbeitsplatzfeindliche Agenda, eine ungezügelte Einwanderung mit offenen Grenzen für Illegale, das wird es mit uns nicht geben. Wir treten dafür ein, die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu beseitigen und setzen uns für einen starken Mittelstand, unsere Familien und ein Leben in Freiheit ein. Dafür werden wir demokratisch kämpfen, die Mehrheit gewinnen und die Verhältnisse wieder gesund machen. Den Mut und das Zutrauen haben wir. 

Sehen Sie eine Perspektive, daß sich an der Ausgrenzung der AfD etwas ändert, stehen Sie – zumindest hinter den Kulissen – in Kontakt mit Unionspolitikern?

Kirchner: Die Diffamierung der AfD wird weiter zunehmen. Ich mache mir da überhaupt keine Illusionen. Das sind letzte, verzweifelte Versuche, bei denen nicht einmal vor dem Mißbrauch des Verfassungsschutzes und der Beobachtungsdrohung zurückgeschreckt wird. Doch immer mehr Menschen durchschauen dieses schmutzige Spiel. Auf persönlicher Ebene existieren diese Vorbehalte gar nicht. Zwischen der CDU und der AfD in Sachsen-Anhalt gab es ja schon inhaltliche Überschneidungen, beispielsweise in Fragen um den Rundfunkbeitrag. Wir werden uns nicht verbiegen. Das sollte auch nicht die CDU, wenn sie nicht weiter den linken Weg der Selbstabschaffung gehen will. In vielen europäischen Staaten gibt es die Christdemokraten nicht mehr als Partei. 

Anfangs ging es in Ihrer Fraktion recht turbulent zu: Querelen, Machtkämpfe, Austritte. Ihr Vorgänger André Poggenburg mußte seinen Platz räumen und verließ ebenfalls die AfD. Sie stehen seit gut drei Jahren an der Spitze der Fraktion, seitdem ist es ruhiger geworden. Was haben Sie intern verändert?

Kirchner: In der Ruhe liegt die Kraft. Vor allem ist es positiver geworden. Die AfD hat ihre Positionen geschärft. Dazu gehört es, daß alle Argumente auf den Tisch kommen und intern diskutiert werden. Es geht aber nur miteinander und nicht übereinander. Meine Aufgabe als Fraktionsvorsitzender war und ist es, zu integrieren und niemanden ausgrenzen. Daß wir das geschafft haben, und zwar gemeinsam mit allen Strömungen, zeigt, daß wir Erfolg haben können, wenn wir an einem Strang ziehen. 

Welche landesspezifischen Themen brennen Ihrer Meinung nach den Leuten auf den Nägeln – und was bieten Sie dazu an?

Kirchner: Die Beseitigung der Corona-Maßnahmen und gleichzeitig ein besserer Schutz der Risikogruppen, das ist die zentrale Aufgabe der nächsten Zeit. Junge und Gesunde laufen kaum Gefahr, schwer zu erkranken oder gar zu versterben. Über 99 Prozent der Bevölkerung sind nicht coronakrank. Die Eindämmungsmaßnahmen der Regierung sind nicht nur völlig überzogen, sondern auch verfassungswidrig, wie es auf Klage der AfD im Landtag das Verfassungsgericht am 26. März 2021 festgestellt hat. Die innere Sicherheit auf unseren Straßen ist wieder herzustellen. Wir brauchen dringend eine Abschiebeoffensive und müssen abgelehnte Asylbewerber zurückschicken. Von 2016 bis 2021 haben wir 1,9 Milliarden Euro für Asyl und Migration ausgegeben. Dieses Geld fehlt uns bei der Abfederung der Corona-Krise, oder beim Kampf gegen Kinder-, Alters- und Elternarmut. Weiterhin gilt es die Familienförderung und die Willkommenskultur für Kinder in den Vordergrund zu stellen, um die demographische Krise in Sachsen-Anhalt zu bewältigen. Hierbei wollen wir kostenfreie Kitas für alle in Sachsen-Anhalt sowie kostenfreies regionales Schulessen für alle Schüler bis zur vierten Klasse. Wir wollen ein landeseigenes Kindergeld und ein Baby-Begrüßungsgeld sowie eine proaktive Wohneigentumsquote für junge Familien.