© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Alles auf eine Karte gesetzt
Schweiz: Bern beerdigt das Institutionelle Rahmenabkommen mit der EU, will aber weiterverhandeln
Josef Hämmerling

Die Schweiz pocht auch weiterhin auf ihre Unabhängigkeit von der EU. So lehnte der Bundesrat, wie die Regierung in der Schweiz genannt wird, vor wenigen Tagen nach sieben Jahren Verhandlung das Institutionelle Rahmenabkommen (InstA) mit der EU ab. Dieses sollte das bereits 50 Jahre alte Freihandelsabkommen und die auch schon 20 Jahre alten Bilateralen Verträge I und II ersetzen. 

Das InstA hätte das Verhältnis Schweiz–EU in grundsätzlicher Weise verändert. Im Bereich der Marktzugangsabkommen wäre die dynamische Rechtsübernahme eingeführt worden. Außerdem hätte das Abkommen die Schaffung eines Streitschlichtungsverfahrens mittels eines Schiedsgerichts vorgesehen. Der Europäische Gerichtshof wäre immer dann einbezogen worden, wenn die Auslegung von EU-Recht betroffen gewesen wäre. Erhebliche Dissonanzen im Bereich der staatlichen Beihilfen.

Einer der größten Gegner dieses Abkommens, die Schweizerische  Volkspartei (SVP), sieht sich bestätigt. „Die Schweiz führt die erfolgreiche Politik der bilateralen Abkommen, die sie weltweit mit allen Ländern pflegt, weiter und schließt dort Abkommen ab, wo es für die EU und die Schweiz von Interesse ist“, stellt Fraktionschef Thomas Aeschi klar. So gebe es für seine Partei dann auch keinen Plan B. Dies sei ein „Sieg für die Selbstbestimmung und die direkte Demokratie“. Gegenüber der EU müsse klar kommuniziert werden, daß es kein Abkommen mit automatischer Rechtsübernahme und EU-Gerichtsbarkeit gebe, heißt es seitens der SVP weiter.

Alle anderen Schweizer Parteien bedauerten dagegen die Entscheidung des Bundesrats. Die Sozialdemokraten, als zweitstärkste Fraktion nach der SVP, kritisierten, daß der Bundesrat nicht ernsthaft alternative Wege geprüft habe. Während die FDP „Bedauern und Besorgnis“ äußerte, kritisierten die Grünen, daß ihrer Meinung nach beim Hauptstreitpunkt, dem materiellen Erhalt des Lohnschutzes, eine Einigung möglich gewesen wäre.

Neben der SVP reagierte nur noch der Schweizer Gewerkschaftsbund (SGB) positiv auf diese Entscheidung. „Die EU-Kommission wäre blöd, die guten und geregelten Wirtschaftsbeziehungen zur Schweiz aufs Spiel zu setzen“, so SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Aus diesem Grund hält er die Ankündigungen aus Brüssel nur für „eine Drohkulisse“ und erwartet pragmatische Lösungen.

 Die EU-Kommission hatte als Reaktion auf die Ablehnung des Rahmenabkommens angekündigt, keine neuen Abkommen mit der Schweiz zu schließen und die bestehenden Abkommen nicht zu aktualisieren. Dadurch würden „in Ermangelung einer Modernisierung der bestehenden Abkommen die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union im Laufe der Zeit geschwächt“.

Der Bundesrat dagegen sieht es aber weiterhin im gemeinsamen Interesse der Schweiz und der EU, die bewährte bilaterale Zusammenarbeit zu sichern und die bestehenden Abkommen konsequent weiterzuführen. Deshalb will er versuchen, mit der EU einen politischen Dialog über die weitere Zusammenarbeit aufzunehmen.

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