© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Warnung vor dem Bürgerkrieg
Literatur: Constantin Schreiber entwirft in seinem soeben erschienenen Buch „Die Kandidatin“ die Dystopie eines diversitätsgequälten Landes
Ludwig Witzani

Wir befinden uns in der Mitte des 21. Jahrhunderts und Bundestagswahlen stehen an. Deutsche über 70 dürfen nicht mehr wählen, dafür wurde das Wahlrecht auf 16 Jahre herabgesetzt und auf die nichtdeutsche Wohnbevölkerung ausgeweitet. Normale Nachrichten gibt es schon lange nicht mehr. Informationen werden durch die Außenstellen der Ministerien und von „Peer-Journalisten“ vertrieben, die ihre Klientel mit den passendem Meinungsbeiträgen versorgen.

Ein „Vielfaltsförderungsgesetz“ definiert unterschiedlich privilegierte Kategorien von Diversität, die in die Personalausweise eingetragen werden.  Ein Sonderkündigungsrecht für Nichtdiverse erlaubt es, Weiße aus ihren Positionen zu entfernen, wenn ein Diverser zur Verfügung steht. Der Begriff „Islam“ wurde unter Strafandrohung durch „Friedensreligion des Islam“ ersetzt. Für alle universitären Positionen ist ein verpflichtender öffentlicher „Peinlichkeitstest“ vorgeschrieben, der verhindern soll, daß sich nicht genderaffine Weiße/Rechte/Faschisten in den Bildungsbereich einschleichen.

Was sich in dieser Aufzählung wie ein Albtraum anhört, ist das Bühnenbild für Constantin Schreibers Roman „Die Kandidatin“, in dem sich die charismatische Muslima Sabah Hussein für das Amt der Bundeskanzlerin bewirbt. Getragen von den Lobgesängen der veröffentlichten Meinung und gehaßt von der radikalen Rechten, sieht sie als Spitzenkandidatin der „Ökologischen Partei“ einem scheinbar sicheren Sieg entgegen – bis zum Attentat einer rechten Aktivistin auf sie. Die Kandidatin liegt lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus, während die empörte Mi-

grantenjugend plündernd durch weiße Viertel zieht.  

Constantin Schreiber, der das zukünftige Deutschland in so düsteren Farben malt, ist weder ein Rechtspopulist noch ein Verschwörungstheoretiker. Jahrelang hat er im Nahen Osten gelebt, war Nahostkorrespondent der Deutschen Welle und moderierte Wissenschaftssendungen in arabischer Sprache für das ägyptische Fernsehen. 2017 wurde Schreiber landesweit bekannt, als er in seinem Buch „Inside Islam“ einer erstaunten deutschen Öffentlichkeit erklärte, welch erschreckendes Ausmaß an islamistischem Radikalismus sich hinter den Mauern hiesiger Moscheen artikuliert. Sein Buch „1.000 Peitschenhiebe. Weil ich sage, was ich denke“ über den arabischen Blogger Raif Badawi wurde ein internationaler Erfolg. Seit 2020 arbeitet der 42jährige Autor als „Tagesschau“-Sprecher im Hauptprogramm der ARD. 

Um so erstaunlicher, daß ein Journalist, der sein Geld im Zentrum des Mainstreams verdient, dem Mainstream und seinen Marotten so deutlich den Spiegel vorhält. In einer Zeit, in der über Fernsehschauspieler, die sich kritisch zur Regierungspolitik äußern, ein medialer Shitstorm hereinbricht, macht der Autor Diversitätskulte, Quotenhypertrophie, Cancel Culture und die Entgleisung der Parallelgesellschaften zum Thema seiner Dystopie. Der Leser müßte schon mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen, daß die Exzesse, wie sie der Autor für die nahe Zukunft beschreibt, Entartungen sind, deren giftige Keime bereits jetzt gelegt sind 

Zweifellos ein mutiges Projekt. Aber wie ist es gelungen? Nun, von einem Roman im klassischen Sinn mit psychologisch glaubhaften Figuren und einer nachvollziehbaren Handlung wird man nur sehr eingeschränkt sprechen können. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich eher um einen „Doku-Roman“, bei dem die Romanform wie eine Trägerrakete funktioniert, mit der der Autor sein weltanschauliches Anliegen in den öffentlichen Orbit schießt. Für diese Gattung gibt es viele erfolgreiche Beispiele, etwa „Der Circle“ von Dave Eggers, „Der Schwarm“ von Frank Schätzing oder Michael Crichtons „Welt in Angst“. Bei diesen Büchern kann man die Handlung getrost vergessen, trotzdem lohnt ihre Lektüre – bei Schätzing, um sich über Details der Meeresökologie unterhaltsam informieren zu lassen, bei Eggers, um einiges über die totalitären Auswüchse zukünftiger Digitalisierung zu erfahren, und bei Crichton, um sich mit Argumenten gegen die Klimahysterie zu wappnen. 

Was Schreibers Buch von Eggers, Schätzings oder Crichtons „Doku-Romanen“ unterscheidet, sind die Stilmittel der Übertreibung und Satire, die, reichlich eingesetzt, durchaus unterhaltsam sind. Köstlich die Szene, in der die Bundeskanzlerin bei einem  Chinabesuch zugeben muß, daß man in Deutschland zwar über keine eigene Digitalstruktur, aber dafür über „drei Geschlechter“ verfügt.

Weniger freundlich beschreibt der Autor die kaum verhüllten egomanischen Motive der handelnden Politiker, angefangen bei der „Kandidatin“, die aus ihrem Muslimsein ein Geschäftsmodell macht, und ihrem Förderer, Innenminister Gerhard Reuter, der die junge Muslima protegiert, um sich die Unterstützung der Migrantenverbände zu sichern. Ein Schelm, wer hier an einen ehemaligen Außenminister und eine muslimische Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement in Berlin denkt. Sogar ein wenig Baerbock-Feeling stellt sich ein, wenn man von einem ehemaligen grünen Minister aus Schleswig-Holstein liest, den die Kandidatin auf ihrem Weg zur Parteispitze als „Mann von gestern“ abräumte. Gegen ihren rein taktisch eingesetzten Feminismus haben weder liberale Muslima noch ihr angegrauter Gegenkandidat von der „Christlichen Partei“ eine Chance. Am Ende ist es eine weiße Frau, die den Haß der diskriminierten Biodeutschen nicht anders zu artikulieren weiß als durch eine blutige Gewalttat.  

Kein Zweifel, daß Schreiber damit einen heiklen Plot konstruiert, der von seinen Kritikern ganz sicher mißverstanden werden wird. In Wahrheit steckt in der Geschichte vom Attentat und dem sich anschließenden Prozeß, mit dem das Buch endet, eine eindringliche Warnung: Je intoleranter sich der Diversitätsabsolutismus in der Gesellschaft austobt, je bedenkenloser konservative Positionen aus dem Diskurs ausgeschlossen und stigmatisiert werden, desto eher ist mit einer gewalttätigen Radikalisierung der Rechten zu rechnen. Diese zöge damit nur mit der bereits existenten gewalttätigen Linken gleich, und der Bürgerkrieg wäre da. In der eindringlichen Warnung vor einem solchen Weg in den Bürgerkrieg liegt der Wert dieses Buches.

Constantin Schreiber: Die Kandidatin. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, gebunden, 208 Seiten, 22 Euro