© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Wenn Menschen dem pandemischen Imperativ folgen
Alltagstaugliche Viruslust
(dg)

Die deutsche Corona-Politik zeigt für die Literaturwissenschaftlerin Bernadette Grubner (FU Berlin) auffällige Kennzeichen des Triebgeschehens: obsessive Wiederholung und Steigerung, zwanghaftes Festhalten an sowie Verschärfung von Regeln trotz wissenschaftlichem Dissens und fehlender Evidenz, Rücksichtslosigkeit in bezug auf andere Lebensbereiche wie Schule oder Wirtschaft und eine starre Frontstellung gegen alles, was vor Ausbruch der Pandemie als „das Wohl der Allgemeinheit“ galt. Dabei habe sich ein Menschentyp herausgebildet, der den „pandemischen Imperativ“ (Christian Drosten) verinnerlicht hat und dem masochistische Lust verschaffe, was der unter dem Lockdown-Regime leidenden Mehrheit Unlust bereite. Große Teile der Bevölkerung räumen dem Paradigma Infektion und der „Direktive der maximalen Infektionsvermeidung“ daher eine Bedeutung für ihr Verhalten zu, das alles andere dominiere und totalisierenden Charakter habe. Alle weiteren  Dimensionen von Beziehungen, ökonomische, soziale, libidinöse, spielten demgegenüber keine Rolle mehr. Von denen, die dem Fetisch „Inzidenzwert“ huldigen, werde die neue Solidarität durch Kontaktlosigkeit realisiert. So könne die „Interaktionsform Infektionsvermeidung“ als berührungsarme Lebensweise einen triebhaften Sog entfalten. Amtlich verhängte Kontaktbeschränkungen würden nicht als verordnet, sondern als tiefgreifendes Anliegen empfunden, das einem selbst entspringt. Seine Vollendung erreiche dieser Masochismus einer gesellschaftlich tragfähigen und „alltagstauglichen Viruslust“ in der „Emphase des pandemischen Tugendterrors“ (Philosophie Magazin, 4/2021). 


 www.philomag.de