© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Mißbrauchsskandale läuten den Zerfall der Kirche ein
Gottesebenbildlichkeit der Opfer verneint

Das Ende der Kirche, wie wir sie kannten“, hält Doris Reisinger (Fachbereich Theologie Universität Frankfurt/M.) durchaus für absehbar. Nachdem die römische Kirche sich in 2.000 Jahren gegen jede Wahrscheinlichkeit in allen Machtkämpfen, Kriegen und Katastrophen behauptet hat, könnte ihr Zerfall jetzt durch eine vergleichsweise marginal wirkende Bedrohung eingeläutet werden: die seit den 1980ern schwelende, in den letzten Jahren eskalierende „Mißbrauchskrise“, wie die sexuellen Übergriffe von Klerikern auf ihnen anvertraute Kinder und Jugendliche immer noch beschönigend genannt würden. Mit dem ehemaligen Dubliner Erzbischof Diarmuid Martin sieht Reisinger den Mißbrauch nicht allein in der entsetzlichen sexuellen Handlung, sondern im Mißbrauch von Macht. Und ein Machtgefüge, das es einigen erlaube, andere zu kontrollieren, deren Gottesebenbildlichkeit in Abrede zu stellen und sie somit als wertlos zu behandeln, entspreche nicht mehr modernen rechtsstaatlichen Standards. Und es sei, wie die augenblickliche Praxis des „Verharmlosens und Vertuschens“ beweise, offenkundig nicht reformierbar. Innerkirchliche Demokratisierungsbewegungen dürften sich daher so wenig durchsetzen wie katholische Fundamentalisten, die Mißbrauchsberichterstattung als Teil einer Verschwörung gegen die Kirche denunzieren. In dieser Konfrontation zeichne sich für die Theologin und Buchautorin Reisinger, die sich seit Jahren mit dem „spirituellen Mißbrauch“ in der katholischen Kirche beschäftigt, bereits die Auflösung der Kirche in eine „Vielzahl katholischer Splittergruppen“ ab (Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2021).


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