© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/21 / 04. Juni 2021

Letztlich ging es auch um die deutsche Sache
Klaus-Rüdiger Mai erzählt, was sich Martin Luther gedacht hat, bevor er 1521 nach Worms zum Reichstag reisen mußte
Erik Lommatzsch

Widerrufen konnte und wollte Martin Luther nicht an diesem 18. April 1521, „weil es weder gefahrlos noch heilsam ist, gegen das Gewissen zu handeln. Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir, Amen“. Auf dem Reichstag in Worms, hatte er vor Kaiser Karl V. gestanden, bedrängt, seine Ideen und Forderungen zurückzunehmen. Selbst die Aussicht, die Weigerung mit dem Leben zu bezahlen, konnte ihn nicht von seinem Standpunkt abbringen. Zu lange hatte er mit sich gerungen, zu sicher war er, vor Gott das Richtige zu tun.

Das Ereignis zählt zweifelsfrei zu den Meilensteilen der Reformation, der deutschen Geschichte schlechthin. Luthers Unbeugsamkeit ist symbolträchtig, unabhängig davon, ob seine oft zitierten Worte tatsächlich historisch sind. Der Auftritt des Reformators in Worms dient Klaus-Rüdiger Mai als Fixpunkt seiner Darstellung „Und wenn die Welt voll Teufel wär“. Gezeichnet wird Luthers Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt, wobei die klassisch-biographischen Aspekte eher eine nachgeordnete Rolle spielen. Das Interesse von Mai gilt in erster Linie Luthers Denken, seiner Theologie, den Folgen und somit dem Grund für die Konfrontation auf dem Reichstag. 

Einer Absolution durch die Kirche bedürfe es nicht

Namen, Überlegungen und Streitpunkte werden zwar in äußerst dichter Form präsentiert, jedoch stets mit Blick auf den nicht vorinformierten Leser. Mai erzählt, er schreibt kein Fachbuch. Zum Verständnis des Ganzen betrachtet er drei miteinander verwobene Ebenen. Zunächst sind da die Glaubensfragen, beginnend mit Luthers persönlichem Ringen, seiner für ihn so quälenden Suche nach einem gnädigen Gott. Dann die Ebene des sich daraus ergebenden, vom Reformator ursprünglich gar nicht beabsichtigten Angriffs auf die Stellung der Kurie und des Papstes sowie schließlich die Ebene der deutschen Gebiete des Reiches, die bestrebt waren, sich möglichst weit vom römischen Machtbereich zu entfernen und die sich Luthers Sicht auf die nicht mehr gegebene Legitimation des Heiligen Stuhls gern anschlossen.

Als „grundstürzende Entdeckung“ Luthers bezeichnet Mai, daß nicht der Mensch, der Gutes tue, gut werde, sondern der gute Mensch Gutes tue. Nicht die Werke rechtfertigten den Menschen vor Gott, der Mensch sei von Anfang an gerechtfertigt. Daraus sei zu schlußfolgern, daß es der Absolution durch die Kirche nicht bedürfe, eine für die Stellung des Klerus arg problematische Erkenntnis. Als bereits vor der Reise nach Worms feststeht, daß man an einer Disputation nicht mehr interessiert ist und lediglich einen Widerruf des Reformators wünscht, formuliert Mai: „Jetzt wurde deutlich – auch für Luther –, daß es nicht allein um die Erneuerung im Glauben ging, sondern auch um die deutsche Sache – darum, daß sich die Nation bilden wollte und sich gegen die Ausplünderung einer sie beherrschenden europäischen Zentralgewalt wehrte.“ Ein Schelm, wer sich durch derartige Sätze kurz ablenken läßt. 

Das Buch zeigt die wesentlichen Stationen Luthers auf, die bekannten Thesen vom 31. Oktober 1517 sind dabei nur ein Aspekt. Das Verhör durch Thomas Cajetan vom Oktober 1518 wird ebenso geschildert wie die Leipziger Disputation vom Juli 1519. Ausführlich zur Sprache kommen Luthers drei bedeutende Schriften von 1520, dem Jahr, an dessen Ende er die Bannandrohungsbulle des Papstes öffentlichkeitswirksam verbrannte. Den Text „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ bezeichnet Mai als „Geburtsurkunde des modernen Europas“. Die „große europäische Idee der Höchstgeltung des Individuums“ verbinde Luther mit den Humanisten, wobei er im Unterschied zu diesen auf der Sünde als Bedingung des Menschseins bestanden habe; nur Gott könne Gutes bewirken, der Mensch aus sich selbst heraus nicht.

Klaus-Rüdiger Mai ist auf Luthers Seite, ebenso positioniert er sich erkennbar gegen dessen Widersacher. Der katholische Theologe Johannes Eck hat es ihm dabei besonders angetan, die Inhalte einer deftigen Spottschrift auf diesen Papstverteidiger werden mit sichtlichem Vergnügen wiedergegeben. Was auf eine sympathische Weise zeigt, daß die reformatorischen Vorgänge auch 500 Jahre nach Luthers „Nein“ in Worms die Gemüter bewegen. 

Klaus-Rüdiger Mai: Und wenn die Welt voll Teufel wär. Martin Luther in Worms. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2020, gebunden, 364 Seiten, 25 Euro