© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock
Die Zweifel wachsen
Thilo Sarrazin

Frisch und gewinnend tritt Annalena Baerbock auf. Auf viele Ältere wirkt sie wie die ideale Schwiegertochter, auf Jüngere wie jemand, mit dem man gerne befreundet wäre. So leistungsfähig und charakterstark wie Armin Laschet oder Olaf Scholz erscheint sie allemal. Und daß sie keine Berufserfahrungen außerhalb der Politik hat, teilt sie mit vielen anderen. Auch ihre relative Jugend muß kein Nachteil sein. Sebastian Kurz kam mit 31, Emmanuel Macron mit 39 Jahren ins Amt. Zudem stehen ihr gutes Englisch und ein Abschluß der London School of Economics auf der Positivseite. Einen Doktortitel hat sich Baerbock jedenfalls nicht erschlichen.

Die Negativseite zeigt jedoch bestürzende Sorglosigkeit, ja Schludrigkeit, wo eine Kanzlerin ingenieursmäßige Präzision beweisen sollte. Das gilt für die akademische Vita, ungenaue Angaben zu Mitgliedschaften und die Meldung von Nebeneinkünften an den Bundestag. Man möchte sich nicht vorstellen, daß eine Kanzlerin so oberflächlich Akten bearbeitet, wie Baerbock ihren offiziellen Lebenslauf. Auch Sachsen-Anhalt weckt Zweifel an ihrer Tauglichkeit als Zugpferd: Mikroskopische 0,7 Prozentpunkte hätten die Grünen wohl auch ohne Baerbock zugelegt. Vielleicht verwünscht die Partei noch, daß sie eine Kandidatin aufgestellt und sich für Baerbock entschieden hat.






Dr. Thilo Sarrazin, Berliner Finanzsenator a.D., war von 1973 bis 2020 Mitglied der SPD.