© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Der Rudi
oder die Erziehung des Menschengeschlechts
Martina Meckelein

Die JUNGE FREIHEIT ohne Bürohund – das scheint seit einigen Jahren einfach undenkbar. Sicher wurde der eine oder andere Hund einmal von Kollegen mitgebracht. Aber keine der feuchten Schnauzen erreichte den Kultstatus eines Hugos. Das Riesenbaby ist allerdings abgängig, sein Frauchen im Mutterschutz. Vor zwei Jahren bekamen wir dann vollwertigen Ersatz. Zwar 30 Kilo leichter und weitaus weniger schniefend, schlabbernd und sabbernd – aber nicht weniger raumgreifend, verfressen und liebenswert. Diese Seite sei einem ganz besonderen Kollegen gewidmet. Und deshalb schweigen wir jetzt. Das Wort hat Rudi:

„Danke der Vorrednerin, der Etikette wegen möchte ich mich Ihnen gerne mit ganzem Namen vorstellen: Gestatten, vom Charlottenhof, Tobi vom Charlottenhof. Alter Brandenburger Dackeladel. Für meine Freunde bin ich allerdings einfach nur „der Rudi“. Waren meine Altvorderen der Passion der Jagd auf Fuchs und Dachs verpflichtet, habe ich mich ganz dem Verbreiten der guten Laune verschrieben. Und darin bin ich ausnehmend gut.

Die Berufung zum Bürohund setzt Ausdauer, Disziplin, Beharrlichkeit und nicht zuletzt ein ansprechendes Äußeres voraus. Bei mir ist das alles genetisch veranlagt. Und ich darf wohl mit einem gerüttelt Maß an Selbstbewußtsein sagen, Bescheidenheit wäre hier deplaziert, all diese Eigenschaften verbinden sich in mir zur vollkommensten Harmonie. Doch unabhängig davon, und dies kann ich nicht genug unterstreichen, handelt es sich bei meiner tagtäglichen Arbeit um ein überaus anstrengendes Geschäft. Das glauben Sie mir nicht, verehrter Leser? Ja, was denken Sie denn? Schauen Sie sich doch diese Fotos an. Sie dokumentieren meinen Arbeitsalltag am Hohenzollerndamm. Hier wird die Pflicht zur Kür! Und so lassen Sie mich mit den Worten des britischen Schriftstellers ­William ­Makepeace ­Thackeray zu dieser Fotosession einladen: ‘Von guter Laune kann man sagen, daß sie eines der besten Kleidungsstücke ist, die man in Gesellschaft tragen kann.’ Und, möchte ich hinzufügen, sind wir im Büro nicht alle in guter Gesellschaft?

Um 9 Uhr erreiche ich per Moped oder Cabrio die Redaktion. Und während das Herrchen schon arbeitsbeflissen den Computer hochgefahren, den ersten Becher Kaffee geleert und mein Wassernäpfchen gespült und betankt hat, heißt es für mich: Kuscheln. Jaulen. Betteln. Treppauf, Treppab hetze ich mit wehenden Schlappohren auf meinen kurzen Dackelbeinchen gefühlte Hunderte von Stufen.

Ich kenne ja meine Pappenheimer, und deshalb geht bei mir alles der Reihe nach. Da ist die liebe Frau ­Tipold, die immer niedlich lächelt und der ich ein klitzeklein wenig auf der Nase herumtanzen kann. Sie mag mir nicht böse sein, aber es ist die Wahrheit, sie kann wirklich nicht ein scharfes Kommando geben. Ich und Herr ­Stein hingegen machen gern mal eine kurze Blattkritik. „­Rudi“, sagt er dann zu mir, „das Blatt muß schärfer werden, die Texte besser.“ Ein Blick aus meinen dunkelbraunen Augen besänftigt dann den Chef. Mission erfüllt. Also, schwupps runter vom bereitgestellten Stuhl und schnurstracks zu Herrn ­Schwarz. So hart er mit seinen Interviewpartnern ins Gericht gehen mag, bei mir schmilzt sein scharfer Verstand wie Butter in der Sonne – mein Glück, er kann mir keinen Wunsch abschlagen. Und es kann für mich nur einen geben: Putenformfleischaufschnitt.

So vergeht der liebe lange Büroalltag. Stippvisiten hier, Gassiausflüge zur Mittagszeit dort. Und gerne liege ich mitten quer im Flur. Mag ich auch kurze Beine haben, so ist mein Rücken doch recht lang. Und es gibt hier keine Seele, die über mich rüberstiefeln würde, ohne mir wenigstens einmal ganz vorsichtig über den Kopf zu streicheln. Sie sind schon seltsam, diese Menschen, sie können manchmal Biester sein. Doch wer einen ordentlichen Charakter hat, der streichelt einen Bürohund – auch wenn er im Weg liegt. Sie tun das Gute, weil es das Gute ist. Das nennen wir Tiere übrigens ‘Die Erziehung des Menschengeschlechts’.“