© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Der Name stimmt
Annalena Baerbock: Von Null auf Kanzlerkandidatin – mit einem aufgehübschten Lebenslauf, der Erfahrung suggerierte
Mathias Pellack

Am Wochenende steht bei den Grünen eine Krönungsmesse an. Auf der digitalen Delegiertenkonferenz soll nicht nur die endgültige Version des Programms für die Bundestagswahl beschlossen, sondern auch die Nominierung von Annalena Baerbock zur ersten grünen Kanzlerkandidatin abgesegnet werden. Laut Tagesordnung findet die Inthronisierung am Samstag um 15 Uhr statt. Doch vor der Salbung durch die Parteibasis hieß es für die Anwärterin: Krönchen richten. 

Grund für den Gegenwind in der zunächst mit medial ordentlich Dampf gestarteten Kampagne waren Unstimmigkeiten im Lebenslauf der Grünen-Chefin. Die jüngsten Aufhübschungen in der Baerbock-Vita deckte der FAZ-Journalist Philip Plickert Ende vergangener Woche auf. Zuvor hatte das österreichische Magazin Exxpress sieben Fehler in ihrem Curriculum Vitae öffentlich gemacht. 

Keine Angaben zum Ort der Tätigkeit

Baerbocks Lebenslauf auf der Internetseite der Partei wurde daraufhin mehrfach überarbeitet. Zuletzt ließ die Politikerin, die sich in Deutschlands mächtigstes Amt wählen lassen möchte, Angaben korrigieren, denen zufolge sie Mitglied im Europa/Transatlantik-Beirat der Heinrich-Böll-Stiftung, im German Marshall Fund oder beim UNHCR sei. Aufgefallen waren die Stellen, weil der Beirat der grünennahen Stiftung sie nicht mehr gelistet hatte. Beim German Marshall Fund war sie nur Absolventin, da sie ein Stipendium und das Fellowship-Programm 2011 absolviert hatte; allerdings war sie kein Mitglied, wie ihr Lebenslauf zunächst behauptete. Und beim UNHCR, dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, kann man schlicht kein Mitglied werden. Die Überschrift lautet statt „Mitgliedschaften“ nun „Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung“. Die Recherchen ausgelöst hatte Baerbock indes selbst, indem sie sich in einem Interview als „Völkerrechtlerin“ titulierte und ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck als jemanden bezeichnete, der sich mit „Hühnern, Schweinen und Kühemelken“ auskenne. Daß sie die nicht geschützte Bezeichnung Völkerrechtlerin führte, ist formal nicht zu beanstanden. Allerdings ist die Angabe in der Regel nur für Volljuristen gebräuchlich, die sich für dieses Rechtsgebiet spezialisiert haben. Habeck indes ist promoviert, rangiert also eine Stufe höher in der akademischen Laufbahn.

Baerbock hatte zunächst auch angegeben, sie habe das Studium der Politikwissenschaften und Öffentliches Recht in Hamburg mit einem Bachelor abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man an der Universität in Hamburg noch gar keinen Bachelor machen. Tatsächlich hat Baerbock, wie ihr Sprecher Andreas Kappler einräumte, ein Vordiplom in Politikwissenschaft an der Universität Hamburg abgelegt. Danach folgte das Studium an der London School of Economics and Political Science (LSE), das sie mit einem Master of Laws (LLM) abschloß. Nach deutschem Recht darf das Kürzel LLM nur mit dem Hinweis auf die Universität oder zumindest den Ort, an dem dieser akademische Grad erworben wurde, geführt werden. Auch das mußte bei Baerbock im Laufe der vergangenen Woche korrigiert werden. 

Ein weiteres „Detail, das am Montag dann „präzisiert“ wurde, betrifft eine ihrer beruflichen Stationen. Laut ihrer früheren Vita war sie von 2005 bis 2008 Büroleiterin der grünen Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter. Im Internetarchiv findet sich aber nur der Hinweis darauf, daß Baerbock bis August 2007 das Potsdamer sowie das Berliner Büro der Politikerin geleitet hatte und später dann in Brüssel und Straßburg „Ansprechpartnerin“ war. Die aktualisierte Version verzichtet nun auf Angaben zum Ort dieser Tätigkeiten. 

Unterdessen kritisierten Politikerinnen die Kampagne und sprachen von „unerträglicher Hetze“ (Sawsan Chebli). Gut möglich, daß Baerbock auch von den eigenen Parteifreunden am Samstag ein Hermelin der Solidarität umgehängt wird. 

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