© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

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Werte-Union: Die konservative Basisbewegung ist faktisch gespalten / Das kommt dem CDU-Chef nicht ganz ungelegen
Christian Vollradt

Die Werte-Union (WU) befindet sich ohne Zweifel in einer schweren Krise, womöglich der schwersten seit ihrer Gründung vor vier Jahren. Von einer faktischen Spaltung sprechen manche, andere weisen das zurück, je nach Standpunkt. Insbesondere seit der Wahl des Fondsmanagers und Publizisten Max Otte zum Vorsitzenden der Basisvereinigung konservativer Unionsmitglieder herrscht dort Unruhe. Mehrere Landesverbände, darunter Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Sachsen, haben sich von der Mitarbeit im Bundesverband zurückgezogen (JF 23/21).

Ein Vorsitzender, so die Kritiker, müsse in der gesamten WU anschlußfähig sein, Otte dagegen polarisiere viel zu sehr, so seine Kritiker. Er biete zudem wegen seiner Nähe zur AfD „in der Außendarstellung eine weitere Flanke für die kritischen Stimmen in CDU und CSU“, monierte ein Mitglied. Otte indes hat jüngst noch einmal betont, er sei „felsenfest und bombenfest CDU-Mitglied“. Er habe sich „nicht geändert“, sondern würde sich wünschen, „daß die CDU insgesamt wieder mehr zu meinem christlich-konservativen Menschenbild zurückkehrt“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. „Und ich denke, daß mindestens 50 Prozent der einfachen CDU-Mitglieder das ähnlich sehen.“

Zumindest mit seiner Kritik an Nato und transatlantischer Ausrichtung steht Otte allerdings programmatisch ziemlich fern von dem, was in der Union eigentlich „common sense“ ist. Einer der führenden Kritiker des neuen WU-Vorsitzenden ist der frühere Bundes-Vize Thomas Jahn. Einzelne Aussagen Ottes möchte er dabei gar nicht auf die Goldwaage legen. Es sei erkennbar, daß sich wegen des intern umstrittenen Vorsitzenden immer mehr prominente Fürsprecher zurückzögen. In seinem Landesverband Bayern belaufe sich zudem die Zahl der Austritte nun „im hohen zweistelligen Bereich. CSU-Mann Jahn vermutet, 80 bis 90 Leute hätten der WU im Freistaat den Rücken gekehrt.

Laschet ist gegen einen Unvereinbarkeitsbeschluß

„Der Ball liegt jetzt bei Herrn Otte“, so Jahn, doch der suche offenbar nicht das Gespräch mit den Landesvorständen. „Es gibt Gespräche“, versichert Otte. Er sieht seine Aufgabe als Bundesvorsitzender jedoch vor allem darin, die Arbeitsfähigkeit herzustellen und die Arbeit aufzunehmen. „Wir hatten eine demokratische Wahl und müssen uns um das Tagesgeschäft kümmern.“ Vor allem im Landesverband Nordrhein-Westfalen sieht man das auch so und kritisiert das Verhalten der (hauptsächlich) süddeutschen Verbände. Ein Wahlergebnis müsse man auch nach einer Abstimmungsniederlage anerkennen. 

Das sieht auch Jahn im Prinzip so. Otte habe sich allerdings erst sehr kurzfristig zur Wahl gestellt und sei zuvor im Verein gar nicht richtig aktiv gewesen. Er habe „eigentlich gar keinen Bezug zur Werte-Union“, ist Jahn überzeugt. In seinen Augen könnte die Legitimationskrise nur durch eine Mitgliederbefragung geheilt werden. Andererseits hatten auch vor der Wahl Ottes verschiedene führende CDU-Politiker, die sich einer stärkeren Betonung konservativer Positionen gegenüber durchaus offen zeigten, klargemacht: Mit der Werte-Union werde es keinen offiziellen Austausch geben, der Verein sei kein Gesprächspartner. 

Der ursprüngliche Ansatz, eine Vernetzungsplattform zu errichten, sei längst gescheitert, meint ein ehemaliges Mitglied der Werte-Union. Niemand in der aktuellen Führungsriege, so seine Einschätzung, spiele irgendeine relevante Rolle in einer der beiden Mutterparteien CDU oder CSU. Diese Entwicklung habe indes schon früher eingesetzt. Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres hätten jüngere Vorstandsmitglieder den Verein verlassen, die als Kommunalpolitiker mitten im Parteileben verankert waren und sich nicht isolieren wollten. 

Vorbei scheinen zudem die Zeiten, da der Gründungsvorsitzende Alexander Mitsch ein häufig gefragter Gesprächspartner von Journalisten war, wenn es darum ging, einen innerparteilichen Kritiker am Kurs von Angela Merkel zu Wort kommen zu lassen. Regelmäßig konnten sich Unions-Granden darüber echauffieren, daß jemandem solch ein Podium geboten wurde, obwohl die WU überhaupt keine offiziell anerkannte Vereinigung innerhalb der Partei ist. Dem Verein gab das Medienecho Auftrieb und eine Reichweite, die seine tatsächliche Größe deutlich übertraf. Nun macht er eher mit internen Querelen von sich reden. 

An dieser Entwicklung, räumt Otte-Gegner Jahn ein, trage das Konrad-Adenauer-Haus ein gerüttelt Maß an Mitschuld. Denn die Beschimpfungen und Ausgrenzungen von dort hätten für viel Frust in den Reihen der WU gesorgt. CDU-Chef Armin Laschet setzt offenbar auf das Konzept, die WU zu ignorieren. Forderungen nach einem Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber der WU oder einem Parteiausschlußverfahren gegen Otte erteilte er gerade erst wieder eine Absage. Die internen Verwerfungen kommen Laschet da wohl ganz gelegen. Eine Selbstzerfleischung könnte das Problem aus seiner Warte bequem erledigen. Max Otte erwähnte gegenüber der JF, er habe „Herrn Laschet angeschrieben“ und werde zudem „alle Bundes- und Landtagsabgeordnete der CDU anschreiben“. Laschet betonte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe, die Werte-Union sei kein Teil der Union. „Es ist eine Gruppe außerhalb der Partei, die auch nicht für den konservativen Teil der Union repräsentativ ist.“

Mancher hat mit Blick auf die Lage der Werte-Union das Schicksal des Christlich-Konservativen Deutschlandforums (CKDF) als Menetekel vor Augen. Das war 1992 als Zusammenschluß mehrerer konservativer Kreise innerhalb der Union gegründet worden. An seiner Wiege standen mehrere Bundestags- und Landtagsabgeordnete, darunter der frühere Berliner Innensenator Heinrich Lummer. Doch weitere Parteiprominente, wie Gerhard Mayer-Vorfelder oder Manfred Kanther, die der konservativ-nationalliberalen Sammlungsbewegung anfangs durchaus aufgeschlossen gegenüberstanden, zogen ihre Unterstützung zurück, nachdem die CDU-Führung klargemacht hatte, daß sie keine Zusammenschlüsse dulde, die sich als Repräsentanten innerparteilicher Richtungen jenseits von Arbeitnehmer- oder Wirtschaftsflügel gerierten. 

Der Ausgrenzung folgten Animositäten und Streitigkeiten im Vorstand, einige Gründer zogen sich zurück. Spätestens als der Bundestagsabgeordnete Rudolf Karl Krause zu den Republikanern wechselte, hatte das CKDF das Rechtsausleger-Stigma weg. 1998 kam es zum endgültigen Bruch mit der CDU, nachdem diese sich geweigert hatte, das CKDF als innerparteiliche Gruppierung anzuerkennen. Eine stattliche Anzahl von Mitgliedern wechselte zum neugegründeten Bund Freier Bürger, der Sprecherrat beschloß schließlich, das Forum als bundesweite Organisation aufzulösen.