© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Ländersache: Sachsen
Guck mal, wer da klaut
Paul Leonhard

Am Aufgang zur Altstadtbrücke in Görlitz stehen links und rechts zwei ebenso futuristisch wie bedrohlich wirkende graue Metallsäulen auf Betonsockeln. Sie bergen eine Vielzahl von Kameras, die aus verschiedenen Winkeln die Passanten aufnehmen, die vom deutschen in den polnischen Teil der Grenzstadt wechseln wollen. Gesteuert wird die Anlage aus den Räumen der Polizeidirektion, die auch für Beschwerden zuständig ist, falls sich Staatsbürger von den Kameraaugen belästigt fühlen. Die Telefonnummer steht gleich unter dem zweisprachigen Schild mit der Aufschrift: „Achtung, Videoüberwachung“. Insgesamt sieben solcher Kamerasäulen stehen seit Sommer 2019 im sächsischen Görlitz, wo dank gestochen scharfer Foto vor allem an den Grenzbrücken schon so mancher Ganove überführt werden konnte.

Schon nach einem Jahr konnte die Polizei einen statistischen Rückgang der Straftaten von 15 Prozent feststellen, bei besonders schweren Einbruchsdiebstählen sogar von insgesamt 40 Prozent, bei Auto- und Wohnungseinbrüche in der Altstadt um mehr als 80 Prozent. Aber Polizisten wie Bürgern ist klar, daß sich dieser Teil der Beschaffungskriminalität lediglich verlagert, auch in andere Städte wie Weißwasser, Niesky, Zittau.

Und eigentlich zielen die Kameras auf die Aufdeckung und den Nachweis grenzüberschreitender Kriminalität. „Einen vergleichbaren Quantensprung habe ich in 30 Jahren bei der Kriminalpolizei noch nicht erlebt“, lobt der Leiter der Sonderkommission „Argus“ die neuen Fahndungsmöglichkeiten. Reihenweise würden die Kameras Ermittlungsansätze liefern, Kfz-Kennzeichen und gestochen scharfe Gesichter – sofern der Datenschutzbeauftragte des Freistaats für den Einsatz dieses Softwaremoduls grünes Licht erteilt. Ein automatischer Abgleich mit Fahndungslisten ist ohnehin nicht vorgesehen. Und nach 96 Stunden wird alles unwiderruflich gelöscht, falls die Aufnahmen nicht zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind.

Daß auch die Zusammenarbeit mit der polnischen Polizei gut funktioniert, zeigen Berichte über die Festnahme von Hintermännern und das Ausheben von Lagern voller gestohlener Elektronik. So konnten etwa in einer illegalen Zerlegewerkstatt in Liegnitz beschlagnahmte Teile zugeordnet werden.

Solche Erfolgsmeldungen haben sich inzwischen in den Grenzgemeinden entlang der Neiße herumgesprochen. Auch Kleinstädte wie Bad Muskau und Rothenburg wollen stationäre Kameras. Das Problem ist, daß es sich bei den Görlitzer Geräten um Prototypen handelt, die speziell für ihre Standorte angefertigt wurden. Lediglich im wenige Kilometer entfernten Zittau, das einst den Beinamen „die Reiche“ führte, ist der Leidensdruck so groß, daß die Stadt drei potentielle Standorte für eine stationäre Kameraüberwachung an die Polizeidirektion melden durfte. Noch prüft das Innenministerium, aber Zittaus parteiloser Oberbürgermeister Thomas Zenker hat gewichtige Argumente: Mit den Kameras in Görlitz habe sich die Kriminalität nach Süden verlagert, zu den beiden Grenzübergängen im Dreiländereck: Ohne Kameras in Zittau sei der sichtbare Erfolg in Görlitz „nur ein teuer erkaufter und fauler Kompromiß“.