© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Brandmauerhochbaukombinat
Landtagswahl: In Sachsen-Anhalt kann die CDU nach langer Zeit wieder eine Wahl gewinnen / AfD auf Platz 2
Jörg Kürschner

Nach ihrem Triumph bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wartet auf die CDU jetzt eine komplizierte Regierungsbildung. Es gab erste Absagen, denn Grüne und FDP lehnen eine Koalition mit CDU und SPD unter Hinweis auf deren eigene Einstimmenmehrheit ab. Auf das Wahlergebnis reagierten die etablierten Parteien unisono mit einem Wettstreit über die höchste „Brandmauer“ gegen die AfD bei künftigen Wahlen. Die Partei blieb klar zweitstärkste Kraft, mußte aber Einbußen hinnehmen und scheint in der Politik isolierter denn je. Gut hundert Tage vor der Bundestagswahl wird der Ton rauher. 

Durch die Absage der Grünen wäre Schluß mit der „Spitzenleistung der Geschichte Sachsen-Anhalts“, wie Ministerpräsident Reiner Haseloff die bisherige Kenia-Koalition (CDU, SPD, Grüne) im Wahlkampf überhöht hatte. Nach zehnjähriger Pause waren die Liberalen in den Magdeburger Landtag zurückgekehrt und hatten rasch klargestellt, sie seien nicht das „Reserverad“ in einer „Komfortkoalition der CDU“. Vom Tisch ist damit auch eine sogenannte „Deutschland-Koalition“ aus CDU, SPD und FDP. Übrig bliebe eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen oder ein ehemals Große Koalition genanntes Bündnis aus CDU und SPD. Beide Parteien regieren seit 15 Jahren zusammen. Der Landtag will sich Anfang Juli konstituieren, aufgrund einer Verfassungsänderung kann die Bildung der Regierung später erfolgen. 

Wahlsieger Reiner Haseloff sah sich in seiner Strategie gegen die AfD bestätigt. Die AfD „müsse aus allen Parlamenten raus“, das sei „eine gesamtdeutsche Aufgabe“, betonte er in Anwesenheit seines Parteichefs Armin Laschet, der die CDU ein „Bollwerk gegen den Extremismus“ nannte. Man habe mehr Stimmen bekommen als AfD und Linke zusammen, die „klare Kante“ gegen die AfD sei mitgetragen worden. „Der Kurs der Mitte wird um keinen Millimeter verändert“, stellte der Unions-Kanzlerkandidat fest. Ein „Landesvater im besten Sinne“, schmeichelte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident seinem Magdeburger Kollegen. Daß Haseloff sich im Streit um die Kanzlerkandidatur für CSU-Chef Markus Söder und gegen Laschet ausgesprochen hatte, scheint Lichtjahre zurückzuliegen. Für den „lieben Armin“ ist Haseloffs Erfolg ein wichtiger Schritt auf dem steinigen Weg ins Kanzleramt.

„Alles, was links betrifft, hat verloren“

Zufrieden rechnete der alte und neue Ministerpräsident den Journalisten im Berliner Konrad-Adenauer-Haus vor, daß die CDU der AfD 14 der 15 vor fünf Jahren gewonnenen Wahlkreise wieder abgenommen hat. Nur im Wahlkreis Zeitz hat die AfD das Direktmandat verteidigen können. Das sei zu DDR-Zeiten der Wahlkreis von Stasi-Minister Erich Mielke (SED) gewesen, wurde geunkt. Der Verlust schmerzt auch AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, der gleichwohl von einem „fantastischen Ergebnis“ sprach. Hingegen kritisierte sein Co-Sprecher Jörg Meuthen, „ein weniger krasser Protestkurs wäre erfolgversprechender gewesen“. Doch Meuthen glänzte bei der gemeinsamen Pressekonferenz Chrupallas mit Spitzenkandidat Oliver Kirchner und Landeschef Martin Reichardt durch Abwesenheit. So konnte der Sachse Chrupalla die besseren AfD-Ergebnisse im Osten als im Westen mit einer größeren Geschlossenheit in den östlichen Landesverbänden erklären. In den westlichen Verbänden seien da „sicherlich noch Hausaufgaben zu machen“. 

Am vergangenen Sonntag hatte die AfD immerhin 11.000 Wähler an die CDU verloren. Chrupalla stellte in den Vordergrund, daß seine Partei bei jungen Wählern zwischen 18 und 30 Jahren stärkste Kraft geworden ist. Am beliebtesten ist die AfD also bei Menschen, die die DDR nicht erlebt haben. Umgekehrt ist die CDU bei den über 60jährigen besonders erfolgreich, bei den vielzitierten „alten weißen Männern“; im Gegensatz zur AfD. Verloren hat sie auch an die FDP, nämlich 4.000 Stimmen. Von der einstigen Regierungspartei Die Linke kamen rund 3.000 Stimmen. Der hohe Zuwachs der CDU erklärt sich insbesondere durch 35.000 gewonnene Nichtwähler, der Saldo fiel bei der AfD anders als 2016 mit 6.000 Stimmen eher bescheiden aus.

Nach der Analyse der „Forschungsgruppe Wahlen“ hat die AfD ein Frauenproblem. Bei den Frauen kommt die AfD nur auf 18 Prozent, bei den Männern sind es hingegen 29 Prozent. Die Frauen trugen zum Wahlsieg der CDU bei, ungeachtet deren geringer Zahl weiblicher Kandidaten für den Landtag. Der Klimaschutz war für die Wähler in Sachsen-Anhalt weniger bedeutend. Für 75 Prozent gibt es „viel wichtigere Probleme“. Analysen zufolge entwickelt sich die AfD weg von einer reinen Protestpartei zu einer Formation, die aufgrund ihres Programms gewählt wird. „Die AfD schneidet unter jungen Menschen so gut ab, weil sie als eine Partei wahrgenommen wird, die sich für die Rechte von Benachteiligten einsetzt“, meint der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann.

Auch die FDP stimmte ein in den Anti-AfD-Kanon. „Mit dem Einzug einer weiteren demokratischen Partei ist in dem Land eine weitere Brandmauer gegen Rechts aufgezogen worden. Das ist eine gute Nachricht für das Bundesland, aber auch für Gesamtdeutschland“, freute sich FDP-Generalsekretär Volker Wissing. Ähnlich reagierten erwartungsgemäß SPD, Linke und Grüne. Doch beim Blick auf die eigene Partei stellte sich rasch Ernüchterung ein. So mußte SPD-Spitzenkandidatin Katja Pähle mit den Tränen kämpfen wegen des „wirklich furchtbaren Ergebnisses“. Zu einem ähnlichen Desaster geriet der Wahlausgang auch für die Linke, einst wichtiger Partner von SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner, der das Land von 1994 bis 2002 regiert hat. Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow räumte eine „krachende Niederlage“ ein und rechnete die Wähler von CDU und AfD dem gleichen politischen Lager, den Konservativen und „extrem Rechten“, zu. 

Den Verlust von 14.000 ehemaligen Wählern an die CDU erklärte sie mit der Polarisierung zwischen CDU und AfD, denen in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert worden war. Viele hätten deshalb aus taktischen Gründen CDU gewählt, während die Genossen gut fünf Prozent verloren haben. Und die Grünen? Sie mußten ein weiteres Mal die bittere Erfahrung machen, daß Umfrageergebnisse am Wahlabend deutlich unterboten werden. Auf dem Parteitag an diesem Wochenende wollen sie sich stärker mit der „sozialen Frage“ der Klimapolitik auseinandersetzen. CSU-Chef Markus Söder, Möchtegern-Kanzlerkandidat, freute sich. „Alles, was links betrifft, hat verloren.“

Nicht über die Fünfprozenthürde schafften es die Freien Wähler, die mit 3,2 Prozent in etwa das Ergebnis erzielten, das ihnen in den Umfragen zugewiesen wurde. Besonders im Norden des Bundeslandes kamen sie auf bemerkenswerte Zweitstimmenanteile: In einer Gemeinde im Landkreis Stendal holten sie 23,4 Prozent. Und den dortigen Wahlkreis 3 konnte der CDU-Kandidat mit 26,7 Prozent nur knapp gegen seinen ehemaligen Parteifreund Nico Schulz verteidigen, der für die Freien Wähler 25 Prozent der Erststimmen holte (JF 23/21). 

Die der Querdenker-Bewegung nahestehenden Parteien kamen zusammen auf 1,7 Prozent. Vereinzelt schnitt „Die Basis“ mit bis zu 6,6 Prozent  besser ab als die Grünen. Schlußlicht in der Wählergunst bildeten mit lediglich 473 Zweitstimmen die Liberal-Konservativen Reformer (LKR).