© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Torschlußhektik
Paul Rosen

Sie diskutieren und beschließen, als gäbe es kein Morgen. Im Deutschen Bundestag quillt die Tagesordnung kurz vor dem Ende der Legislaturperiode über. Am 25. Juni soll endgültig Schluß sein. Dann kommen Sommerpause und Wahlkampf, bis am 26. September ein neuer Bundestag gewählt wird.

Allein in den drei Sitzungen in dieser Woche umfaßt die Tagesordnung 48 Punkte. Auch wenn Reden nicht gehalten, sondern nur zu Protokoll gegeben werden, zieht sich das Plenum bis in die Nacht. Hinzu kommen noch unzählige Ausschußsitzungen und öffentliche Anhörungen.

Außerdem soll das Plenum die Abschlußberichte der Untersuchungsausschüsse von Maut bis Wirecard diskutieren. In den Untersuchungsausschüssen wird ebenfalls noch mit Hochdruck gearbeitet, im Wirecard-Ausschuß stehen noch die letzten Zeugenvernehmungen an. Möglicherweise schlummert hier noch eine Bombe für Finanzminister Olaf Scholz (SPD), dessen Finanztransaktionskontrollbehörde beim Zoll von einer Bank gegebene Hinweise auf massiven Betrug bei Wirecard durch Finanztransaktionen nach Südostasien offenbar lange Zeit unbeachtet ließ.

Inhaltlich fällt auf, wie sehr CDU und CSU bemüht sind, der ihnen im Nacken sitzenden grünen Konkurrenz das Wasser abzugraben, indem sie die Themen der Grünen übernehmen. Das beginnt mit dem lange innerhalb der CDU/CSU umstrittenen Anspruch auf einen Platz für ein Kind in einer Ganztagseinrichtung. Der „Gesetzentwurf zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“ wird abgekürzt mit GaFöG, hat aber mit dem ähnlich klingenden BAföG nichts zu tun. 

Hinter dem Tagesordnungspunkt „Geschlechtergerechtigkeit“ verbirgt sich die alte grüne Forderung nach einer Frauenquote in Vorständen von Unternehmen. Künftig wird in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten in Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau vertreten sein müssen. Die CDU/CSU-Fraktion gab ihren Widerstand gegen das bereits im Januar vom Bundeskabinett beschlossene Gesetz auf. 

Ein weiterer Punkt ist das „Lieferketten“-Gesetz, das ebenfalls wegen Widerstands aus der Unionsfraktion noch Mitte Mai von der Tagesordnung des Bundestags genommen worden war. Künftig sollen Unternehmen dafür sorgen, daß es in ihrer gesamten Lieferkette bis hin in fernste Länder nicht zu Kinderarbeit, Ausbeutung und Naturzerstörung kommt. Ebenso grün ist das Ziel, bei Neubauten eine Pflicht für Solardächer einzuführen. Allerdings ist hier der rechtzeitige Beschluß noch nicht sicher. 

Was in dieser Legislaturperiode unterdessen bestimmt nicht mehr kommen wird, ist die Wahl eines Bundestagsvizepräsidenten der AfD. Doch auch nach fünf gescheiterten Vorschlägen stellt die AfD-Fraktion erneut Harald Weyel als Kandidaten zur Wahl. Der Professor und Betriebswirt war bereits in zwei Wahlgängen zuvor an der erforderlichen Mehrheit gescheitert.