© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Voll normal
Umfrage: In wesentlichen gesellschaftlichen Fragen ticken die Deutschen erstaunlich konservativ – über Parteigrenzen hinweg
Christian Vollradt

Gender-Sternchen, Regenbogenfamilien, viele Geschlechter, aber keine Leitkultur: So sieht sie aus, die neue Zeit, in der wir leben. Alte, überkommene Modelle werden entsorgt, was gestern galt, ist längst abgehakt. Wirklich? Oder gibt es hier vielleicht eine Kluft, neudeutsch ein Gap, zwischen dem in vielen Medien verbreiteten Bild einerseits und der Wirklichkeit der Menschen andererseits? Eine aktuelle Insa-Umfrage im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT zeigt: Die Deutschen sind in ihrer Mehrheit in vielen Lebensbereichen erstaunlich konservativ – und zwar über Parteigrenzen hinweg. 

So gibt es selbstverständlich viele verschiedene Lebensmodelle: Singles, Alleinerziehende, Patchworkfamilien. Der Aussage „Familie bedeutet in erster Linie eine Konstellation von Vater, Mutter und Kind“ stimmt eine absolute Mehrheit von 57 Prozent der Befragten zu. Nur bei den 18- bis 29jährigen überwiegt eine Mehrheit, die dieser Aussage nicht zustimmt (45 zu 39 Prozent). Mit zunehmendem Alter wächst dagegen die Zustimmung (bis zu 66 Prozent bei den über 60jährigen). 

Ein Blick auf die Parteipräferenz der Befragten zeigt: Nur die Wähler der Linken und der Grünen stimmen der Aussage mehrheitlich nicht zu. Auch bei den Anhängern der Sozialdemokraten ist das Familienbild mehrheitlich klassisch geprägt. Besonders Wähler von AfD (81 Prozent) und Union (65 Prozent) halten das Modell Vater, Mutter, Kind für den Normalfall.

Mehrheit der Einwanderer für eine deutsche Leitkultur

Daß eine Mehrheit hierzulande mit Gender-Sprache nichts anzufangen weiß, haben bereits andere Umfragen ergeben. Nun zeigt sich: Eine absolute Mehrheit von 58 Prozent der Befragten empfindet es sogar als störend, wenn im Radio oder Fernsehen gegendert – also eine Sprechpause bei einem Binnen-I oder Gender-Sternchen eingelegt – wird. Nur etwa ein Fünftel (19 Prozent) empfinden dies als nicht störend. Auch hier macht sich die Generationenzugehörigkeit bemerkbar. Die Jüngeren nehmen weniger Anstoß, obwohkl auch eine knappe relative Mehrheit die Gender-Pause ablehnt (40 Prozent). Mit steigendem Alter wächst der Anteil derer, die der Aussage zustimmen auf 69 Prozent bei den ab 60jährigen.

Befragte aller Wählergruppen geben mehrheitlich an, daß sie das Gendern im Radio oder im Fernsehen als störend empfinden. Allerdings geben dies Wähler der Linken und der Grünen (42 beziehungsweise 48 Prozent) seltener an als Wähler der SPD und Union (59 beziehungsweise 67 Prozent) oder als Wähler von FDP und AfD (75 beziehungsweise 79 Prozent). Es zeigt sich jedoch: Selbst bei der – vermeintlich – eigenen Zielgruppe erregt das Sprech-Aufstoßen mehrheitlich Anstoß. 

Und was ist mit der angeblich verpönten Leitkultur? Der Aussage „Wenn Menschen nach Deutschland einwandern, sollten sie sich in ihrem Verhalten an Traditionen und Lebensweisen der bereits hier lebenden Menschen anpassen“ stimmt eine deutliche Mehrheit von 71 Prozent der Befragten zu. Nur 14 Prozent lehnen die Aussage ab. Auch hier wächst die Zustimmung stetig mit dem Alter. Doch selbst unter den jungen Leuten unter 29 überwiegt das „ja“ (47 Prozent) gegenüber dem „nein“ (28 Prozent). Bemerkenswert: Unter den Befragten mit Migrationshintergrund stimmt eine absolute Mehrheit von 53 Prozent der These, Einwanderer müßten sich in ihrem Verhalten an die Traditionen und Lebensweisen der bereits hier lebenden Menschen anpassen, zu. 28 Prozent von ihnen lehnen dies ab. 

Auch unter den Parteipräferenzen zeigt sich: Sogar bei Linken- und Grünen-Wählern stimmt man mehrheitlich der Anpassung an die hiesige Kultur zu. Am deutlichsten tun dies naheliegenderweise Anhänger von AfD (92 Prozent) und CDU/CSU (80 Prozent). Aber auch unter SPD-Wählern sind es 74 Prozent. 

Apropos Kultur: Wie steht es – auch unabhängig eines internationalen Fußballturniers – mit dem Thema Nationalgefühl? Die These „In der Schule sollte den Kindern ein positiverer Bezug zu Deutschland vermittelt werden als dies aktuell der Fall ist“ stimmt die absolute Mehrheit von 61 Prozent der Befragten zu, 14 Prozent tun dies nicht. Auch in diesem Punkt stimmen Befragte mit einem Migrationshintergrund zwar weniger häufig, aber doch mehrheitlich zu (49 Prozent gegenüber 22 Prozent Ablehnung). Sogar die Wähler von Linkspartei und Grünen teilen die Auffassung mehrheitlich. Sie haben mit der Vermittlung eines positiven Bezugs zum eigenen Vaterland offenbar weniger Probleme als manche Parteifunktionäre. Kaum überraschend, daß andererseits mit 24 beziehungsweise 26 Prozent bei Linken und Grünen der Widerspruch am größten ist. 

AfD-Anhänger stimmen der Vermittlung von Patriotismus in der Schule am meisten zu (80 Prozent), gefolgt von Unions- und SPD-Wählern (jeweils 70 Prozent) sowie denen der FDP (69 Prozent). Auch Befragte aus dem Osten Deutschlands stimmen der Aussage, in der Schule sollte den Kindern ein positiverer Bezug zu Deutschland vermittelt werden als dies aktuell der Fall ist, etwas häufiger zu als dies Befragte aus dem Westen Deutschlands tun (65 zu 60 Prozent). Auch in dieser Frage wächst mit steigendem Alter der Anteil derer, die der Aussage zustimmen von 40 Prozent bei den 18- bis 29jährigen auf 73 Prozent bei den über 60jährigen.

Deutlicher fallen die Unterschiede anhand der Parteipräferenzen bei der Frage nach dem Kurs der Union aus, also jener beiden Parteien, die lange als Verkörperung der abgefragten Werte und Normen standen. Gefragt, ob sich heutzutage die inhaltliche oder ideologische Ausrichtung von CDU und CSU kaum mehr von der der SPD und der Grünen unterscheidet, halten sich in der Gesamtheit Zustimmung und Ablehnung mit je 36 Prozent die Waage. Wähler der FDP, vor allem aber der AfD stimmen der Aussage mehrheitlich zu (50 beziehungsweise 74 Prozent). Kaum überraschend, dürften doch gerade unter ihnen besonders viele sein, die genau aufgrund dieser von ihnen wahrgenommenen Angleichung abgewandert sind. Von den Wählern der CDU/CSU sehen das nur 29 Prozent so, auch Grünen-Anhänger stimmen kaum zu. Ihre Wähler lehnen die These sogar jeweils mit absoluter Mehrheit ab. 

(Umfragegrafiken siehe PDF)