© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Hetzjagd auf Maaßen
Die künstlich erzeugte Kontroverse um Hans-Georg Maaßen wird auch andernorts wahrgenommen: Eine Verteidigung des CDU-Politikers von David Pan, Chefredakteur der US-Vierteljahreszeitschrift Telos
David Pan

Eins ist doch klar: Die jüngste Aufregung um Hans-Georg Maaßens angeblichen Antisemitismus verrät deutlich mehr über den Verfall der deutschen Medienlandschaft als über Maaßens Ansichten und Charakter. Angestachelt durch einen rücksichtslosen Rassismus- und Antisemitismusvorwurf, den Luisa Neubauer in der ARD-Sendung „Anne Will“ erhob, fühlten sich mehrere Journalisten genötigt, Maaßens Schriften zu durchforsten. Sie alle trieb die Hoffnung, so ihren Vorwürfen Substanz zu verleihen. Der Mangel an Beweisen führte sie schließlich zu einem Aufsatz, den er zusammen mit Johannes Eisleben in der US-Zeitschrift Telos veröffentlicht hatte. Doch statt sich mit konkreten Argumenten auseinanderzusetzen, betrieben die Kommentatoren eine Hexenjagd.

Ein aktueller taz-Artikel etwa befragte zwei linke Wissenschaftler, Volker Weiß und Matthias Quent, die bei der Analyse des Textes helfen sollten. Die beiden kamen zu einem eindeutigen Schluß. Hierbei handele es sich um ein Beispiel für Rechtsextremismus. Warum? Weil darin Formulierungen wie „Globalisten“, „eine kleine Elite“ und „ein paar tausend Familien“ verwendet werden, die als „Dog Whistle“-Signale funktionieren, mit denen versteckte Botschaften an Antisemiten oder Rechtsextremisten gesendet werden. Wie die Welt anmerkte, werden solche Formulierungen aber auch von linken Globalisierungskritikern verwendet, etwa in der Occupy-Bewegung. Und wirklich niemand bestreitet heutzutage die Anschauung, daß der globale Reichtum bei wenigen konzentriert ist.

„Stabile öffentliche Sphäre, Demokratie und freier Handel“

Die aufgeregten Kommentatoren störten sich besonders an Maaßens und Eislebens Argument, daß „Richter, Hochschullehrer, Politiker, Medienredakteure und Manager großer Unternehmen“ mitschuldig am Niedergang der Meinungsfreiheit seien, während die Verteidigung des Rechtsstaates gegen zunehmende Repression von der Aufrechterhaltung des „familiären und lokalen Zusammenhalts“ sowie von „Traditionen und nationalen Kulturen“ abhänge.

Diese Ideen sollten jedoch nicht umstritten sein. Ganz im Gegenteil, schließlich spiegeln sie exakt die Ansichten Hannah Arendts in „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ wider. Arendt war der Überzeugung, daß „hochkultivierte Menschen besonders von Massenbewegungen angezogen wurden“ und daß die totalitären Bewegungen von „den spezifischen Bedingungen einer atomisierten und individualistischen Masse“ abhingen. Darüber hinaus verteidigte sie in ihrem Werk klar die stabilisierenden Strukturen des Nationalstaates gegen die Gefahren pan-germanischer und pan-slawischer „Stammesnationalismen“, die wohl der historische Präzedenzfall für die heutigen transnationalen Identitätspolitiken waren.

Besonders skurril: Der Versuch, Maaßen und Eisleben als Extremisten zu brandmarken, verwirklicht genau jene polizeiliche Überwachung des öffentlichen Raums, die ursprünglich der Hauptkritikpunkt ihres Aufsatzes war. Sie verteidigen „offene demokratische Gesellschaften und den Rechtsstaat“ gegen die Zensur des öffentlichen Diskurses. Doch anstatt mit eigenen Argumenten zu antworten, versuchen nun Meinungsmacher, die öffentliche Debatte einzuschränken, indem sie jene Ansichten als rassistisch oder antisemitisch verteufeln, die nicht mit einer identitätspolitischen und antinationalen Agenda übereinstimmen. Dabei ist die Ablehnung von Identitätspolitik und die Bejahung der Bedeutung einer gemeinsamen Kultur für die Stabilität einer demokratischen Gesellschaft durchaus vereinbar mit einer Perspektive, die Vielfalt fördert, sich gegen Rassismus wendet und die Menschenrechte unterstützt.

Die gemeinsame Kultur, die sich Maaßen und Eisleben vorstellen, ist mitnichten ein pangermanischer Nationalismus. Vielmehr stellen sie klar, daß ihr Ziel darin besteht, „eine stabile öffentliche Sphäre, demokratische Partizipation und Repräsentation, anständige, nicht-dichotomische Eigentumsstrukturen und internationalen Handel zu fördern“. Anstatt sie zu verunglimpfen, sollten Andersdenkende anerkennen, daß sie gemeinsame Ziele haben und die Weisheit unterschiedlicher Strategien zu deren Erreichung diskutieren.

Doch gerade die mangelnde Bereitschaft, sich auf diese Art von Diskussion einzulassen, ist ein Zeichen für den von Maaßen und Eisleben beklagten Verfall der öffentlichen Debatte. Wenn Neubauer den Vorwurf des Antisemitismus benutzt, um Maaßens Ansichten zu delegitimieren, zeigt sie, wie Identitätspolitik direkt für eine neue Art der Zensur verantwortlich ist. Sobald die Bevölkerung in einzelne Gruppen aufgeteilt wird, die sich durch ihre Zugehörigkeit zu rassischen, ethnischen oder religiösen Gruppen definieren, reicht der Vorwurf des Rassisten, Antisemiten und Islamophoben aus, um eine Debatte zu unterbinden und den vermeintlichen Täter an den Rand der radikalen Rechten zu drängen.

Leider ist auch Telos in diesen Verunglimpfungsversuch hineingeraten: Die taz bezeichnet Telos in ihrem Artikel als Zeitschrift der „Alt-Right“. Reichlich seltsam: Die Welt bringt die Zeitschrift mit der Neuen Linken in Verbindung. Die FAZ beschreibt die Ausrichtung differenzierter und erkennt unterschiedliche Auffassungen im Magazin, darunter sowohl den Neomarxismus der Frankfurter Schule als auch die konservativen Ideen von Carl Schmitt. Tatsächlich verfolgt Telos seit jeher eine argumentationsorientierte Redaktionspolitik, die Hans-Georg Maaßen in einem Interview mit der NZZ gut auf den Punkt bringt: „Für mich zählen die Argumente, nicht die Person. Auch der übelste Mensch kann gute Argumente haben.“

Bekenntnis zur Kultur gegenseitigen Respekts

Mit dieser Haltung halten Maaßen und Eisleben an ihrem Bekenntnis zu einer gemeinsamen Kultur der Perspektivenvielfalt und des gegenseitigen Respekts fest und verteidigen das Recht aller Bürger, sich gleichberechtigt an der öffentlichen Debatte zu beteiligen. Niemand soll Angst vor Repressalien oder sozialer Ausgrenzung haben. Angesichts ihrer soliden Verteidigung liberaler Normen sollten uns die aktuellen Versuche, Maaßen „auszulöschen“, nicht mit Argumenten, sondern allein durch die Behauptung persönlicher Beziehungen zu verdächtigen Personen oder Medien, darauf aufmerksam machen, was bei der aktuellen Kontroverse auf dem Spiel steht.

Maaßen hat ein legitimes konservatives Argument über die Bedeutung sowohl von Familienstrukturen als auch von nationaler Kultur als entscheidend für die Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Normen artikuliert. Seine Ansichten in eine schattenhafte rechtsextreme Unterwelt zu schieben, schadet der öffentlichen Debatte in einer Situation, in der es immer wichtiger geworden ist, einen breiten Konsens zur Unterstützung liberal-demokratischer Werte aufzubauen.






David Pan ist Chefredakteur der Vierteljahreszeitschrift Telos und Professor am Fachbereich für Europäische Sprachen und Studien an der University of California, Irvine.

 Den Text von Maaßen und Eisleben, der für Cato übersetzt wurde, lesen Sie auf JF: https://JUNGEFREIHEIT.de/kultur/gesellschaft/2021/aufstieg-und-fall-des-post-nationalismus/





Alles Antisemiten?

Den Begriff „Globalisten“, dessen Gebrauch Maaßen zum Vorwurf gemacht wird, nutzten folgende Autoren und Interviewpartner in ihren Beiträgen:


Alan Posener in der Zeit am 30. Oktober 2020


Carsten Meyer im ZDF und auf 3sat am 27. Oktober 2020


Heinz Theisen in der NZZ am 23. Oktober 2020


Andreas Reckwitz im Deutschlandfunk Kultur am 10. März 2018


Torsten Riecke in der Wirtschaftswoche am 26. Januar 2018   


Clemens Wergin in der Welt am 11.Oktober 2018


Ferdinand Knauß in der Wirtschaftswoche am 25. September 2016





„Ich sage Ihnen, er ist nicht Antisemit, und er verbreitet auch keine antisemitischen Texte, und wenn er es täte, wäre es ein Grund zum Parteiausschluß.“

CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet in der ARD-Talkshow „Anne Will“ 





„Hans-Georg Maaßen ist offensichtlich ein Provokateur und Tabubrecher, der immer wieder im Grenzbereich zur Neuen Rechten mit Anspielungen arbeitet. Ich bin dafür, ihm sehr genau auf die Finger zu schauen. Wenn ihm etwa Antisemitismus nachgewiesen werden kann, müssen wir auch Schritte einleiten.“

Karin Prien (CDU), Schleswig-Holsteins Bildungsministerin gegenüber dem RND





„Bei Herrn Maaßen, wenn man die Summe aller Dinge zusammennimmt, auch auf den unterschiedlichen sozialen Plattformen, aber auch in eigenen Reden – da gibt’s eigentlich nichts Entlastendes mehr zu bemerken. Er nutzt antisemitische Stereotype, um auf Stimmenfang zu gehen.“

Stephan Kramer, Chef des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen, im ARD-Magazin „Kontraste“