© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Grüße aus … Bern
Dann gleich zweimal heulen
Frank Liebermann

Vor wenigen Tagen war ich bei der Dentalhygiene. Schon auf dem Weg dorthin habe ich meistens ein Gefühl voller ängstlicher Erwartung. Da ich aufgrund eines Sportunfalls zwei Implantate und mehrere Kronen habe, muß ich diese Prozedur dreimal jährlich über mich ergehen lassen. 

Nachdem ich auf dem Behandlungsstuhl Platz genommen habe, schaut mir die Dame mit angestrengtem Gesicht in den Mund. Sie kratzt an ein paar Stellen herum und klopft gegen einig Zähne. Dann kommt die übliche Frage, ob ich auch schön Zahnseide benutze und mit den kleinen Bürstchen die Zahnzwischenräume reinige. 

Und wie immer sage ich ihr, daß ich das ungefähr dreimal in der Woche erledige. Das ist glatt gelogen, meist schaffe ich es nur einmal. Meine Mundhygiene beschränkt sich in der Regel auf zweimaliges Zähneputzen am Tag. Trotzdem ist sie zufrieden. Es sieht alles gut aus, der erste Streß weicht von mir. 

Jetzt muß ich nur die Ultraschallbehandlung, ein Salzwassergemisch und das manuelle Gekratze überstehen. Die Kontrolle bei der Zahnärztin ist ebenfalls positiv. Es gibt nichts für sie zu tun. Glück gehabt. Eine beliebte Redensart in der Schweiz ist nämlich: „Beim Zahnarzt heulst du zweimal. Zuerst bei der Behandlung, und noch einmal, wenn die Rechnung kommt.“

Für arme Menschen bietet daher in Basel das Unispital kostenlose Zahnbehandlungen an

Das Gesundheitssystem der Schweiz unterscheidet sich grundlegend vom deutschen. Hier hat zwar jeder Bürger eine Krankenversicherung, die er jährlich wechseln kann. Was für Neuankömmlinge aus Deutschland oft neu ist, Zähne sind nicht mitversichert. Wer hier lebt, zahlt seinen Zahnarzt selbst. Zwar gibt es Versicherungen, die sind aber nur dann bezahlbar, wenn man ein gesundes Mundwerk hat oder schon als Kind in der Schweiz lebte und die Eltern einen versichert haben.

Eine Zahnfüllung kostet dann schnell 800 Franken, da der Patient nicht nur das Material, sondern auch die Behandlung selbst finanzieren muß. Implantate und kompliziertere Behandlungen kosten gerne ein paar tausend Franken. Gerade größere Behandlungen sind für Normalverdiener oft ein Problem.

Für arme Menschen bietet daher in Basel das Unispital kostenlose Zahnbehandlungen an. Einen Aufschrei gab es jetzt, als bekannt wurde, daß die dortige Klinik von rumänischen Bettlern zunehmend frequentiert wird. 

Verrückte Welt. Während sich einige Osteuropäer die Zähne  hier kostenlos sanieren lassen, verbringen etliche Schweizer ihren Urlaub in Ungarn oder in der Türkei. Dort können sie sich aufwendige Behandlungen noch leisten.