© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Qual der Wahl – doch keiner geht hin
Iran: Alle Blicke werden sich nach dem kommenden Urnengang bei der Präsidentschaftswahl auf die Wahlbeteiligung richten
Marc Zoellner

Daß Irans Ex-Präsident Mahmud Ahmadinedschad nicht erneut Präsident des Iran werden darf, kam für ihn selbst überraschend: Seine Ablehnung als Kandidat zur Wahl am kommenden Freitag, erklärte der von 2005 bis 2013 amtierende Regierungschef der islamischen Theokratie, sei „eine Beleidigung des Volkes und eine Verletzung der Verfassung, die ich niemals hinnehmen werde.“ 

Neben Ahmadinedschad hatten sich in den vergangenen Monaten über 600 weitere Bewerber – fast ausschließlich Männer – für die Wahl zum zweithöchsten Staatsposten nach jenem des „Obersten Führers“, Ali Chamenei, eintragen lassen. Mitte Mai jedoch entschied der „Wächterrat“ der Islamischen Republik, lediglich sieben der Kandidaten auch zuzulassen.

Dabei hätte die Wahrscheinlichkeit für ein politisches Comeback Ahmadinedschads gleich aus mehreren Gründen äußerst günstig gelegen: Der jetzige Präsident, Hassan Rohani, darf aufgrund seiner zweifachen Präsidentschaft nicht erneut antreten. Neben einer noch immer aufgrund des Atomstreits außenpolitisch weitgehend isolierten Nation hinterläßt Rohani dem Iran eine kostspielige Interventionspolitik in Syrien sowie im Jemen.

 Allein seit Januar 2020 verlor der iranische Rial gut ein Drittel seines Wertes; die Jugendarbeitslosigkeit im Land schwankt um die 28 Prozent. Zwischen Dezember 2017 und Januar 2020 ließ Rohani, der sich bis zu seiner Wiederwahl von 2017 dem Lager der Reformer zugehörig sah, gleich drei landesweite Protestwellen blutig niederschlagen. Mindestens 1.500 Demonstranten fanden dabei den Tod.

Aus den jüngsten Wahlumfragen geht das Lager der Reformer dementsprechend geschwächt hervor: Mit Abdolnaser Hemmati, einem als technokratisch beschriebenen ehemaligen Vorsitzenden mehrerer iranischer Bankinstitute, erreicht der populärste Wunschkandidat der Reformisten gerade einmal 1,3 Prozent der Stimmen. 

„Die größte Hürde ist der lange Schatten, den die Rohani-Regierung auf die Ziele der Reformer wirft“, kommentiert die reformistische Teheraner Tageszeitung Shargh. Immerhin hatte auch Hemmati in seiner beruflichen Laufbahn die desaströse Wirtschaftspolitik Rohanis wenn nicht gefördert, dann doch zumindest unterstützt.

Tatsächlich werfen konservative Kandidaten Hemmati seine Verwicklung in die iranische Wirtschaftskrise auch aktiv vor. Mohsen Rezai, ein ehemaliger Kommandeur der „Revolutionsgarden“, drohte dem Technokraten in einer TV-Debatte jüngst sogar mit dessen Inhaftierung nach der Wahl. Bei den Stammwählern der Hardliner sowie bei jenen Wählerschichten, die unter der Rezession zu leiden haben, punkten solch markige Sprüche beträchtlich: Zuletzt verzeichnete der eigentliche Wunschkandidat Ali Chameneis, der Oberste Richter Ebrahim Raisi, der im iranischen System bereits als Nachfolger des greisen Chamenei gehandelt wird, in Umfragen einen Stimmanteil von fast 49 Prozent.

Alle Blicke werden sich nach dem Urnengang auf die Wahlbeteiligung richten. Jüngste staatliche Meinungsumfragen im Iran deuten darauf hin, daß die Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl unter 40 Prozent fallen könnte.