© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Kartell gegen den Wettbewerb
Finanzministertreffen: G7-Staaten vereinbaren globale Mindeststeuer von 15 Prozent
Dirk Meyer

Ausgerechnet Rishi Sunak verkündete die von Paris und Brüssel seit Jahren herbeigesehnte historische Einigung, die dazu führe, „daß die größten multinationalen Technologiegiganten ihren gerechten Anteil an den Steuern in den Ländern zahlen werden, in denen sie tätig sind“. Doch der konservative Brexiteer war am 5. Juni turnusgemäß Gastgeber des G7-Finanzministertreffens in London, an dem auch seine Amtskollegen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und den USA teilnahmen.

Der globale Mindestsatz für Unternehmen soll demnach weltweit nicht mehr unter 15 Prozent liegen. „Das ist eine sehr gute Nachricht für die Steuergerechtigkeit und die Solidarität, und eine schlechte Nachricht für Steueroasen in aller Welt“, erklärte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Zur entscheidenden Bemessungsgrundlage oder zur globalen Durchsetzbarkeit gab es nichts Konkretes – große Länder wie China, Indien oder Rußland waren nur indirekt über den Währungsfonds IWF und die Weltbank vertreten.

Die Besteuerungshoheit ist Ausdruck nationalstaatlicher Macht und Autonomie. Selbst die EU verfügt bislang über keine eigenen Steuern, in diesem Bereich ist die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten nötig. Immerhin arbeiten bislang 38 Staaten unter dem Dach der westlich dominierten Wirtschaftsorganisation OECD an einer neuen Weltsteuerordnung. Denn die heutige Unternehmensbesteuerung setzt traditionell an der Betriebsstätte und dem Produktionsstandort an. Die Globalisierung, internationale Lieferketten und ortsungebundene Digital-Konzerne haben den Gewinn als Steuerbasis aber hoch mobil gemacht.

Gewinnverlagerungen über Verrechnungspreise, Lizenzgebühren, Markenrechte und Kreditverträge sind möglich. Und wie das Beispiel Irland zeigt, wird das von Apple, Facebook & Co. ausgiebig genutzt. Daher wollen viele Regierungen jene Steueroasen austrocknen, deren Dienstleistung vornehmlich in der Bereitstellung von Briefkästen für Firmensitze besteht. Auf der anderen Seite ist der Steuersatz das Preisetikett auf dem globalen Markt für Investitionsstandorte.

Eine Absprache der G7-Staaten käme einem Steuerkartell gleich, der Standortvorteile einzelner Länder zunichte machen würde. Für kleinere Länder, die durch ihre Rand- und Insellage benachteiligt sind, haben niedrige Steuersätze eine große Hebelwirkung. Doch für die Attraktivität eines Produktionsstandortes ist der Mix aus Steuern und hiermit finanzierter Infrastruktur, das Rechtssystem und die Qualifikation der Arbeitskräfte wesentlich. Ein rein steuerlicher Unterbietungswettlauf liegt damit in weiter Ferne.

Diskussion um einheitliche Steuerbemessungsgrundlage

Der OECD-Steuervorstoß steht auf zwei Säulen: Eine „Digitalsteuer“ soll zu einer Neuverteilung der Besteuerungsrechte zwischen Produktions- und Absatzstaaten führen. Datenbasierte Geschäftsmodelle à la Google haben keine zentrale Produktionsstätte, Programmierer arbeiten weltweit verstreut. Deshalb greift die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit auf der Basis einer im Hoheitsgebiet ansässigen Betriebsstätte nicht mehr. Ein nur vage formulierter Reformvorschlag basiert auf den regionalen Umsätzen. Damit würde eine Steuerverlagerung von den Staaten der Konzernsitze hin zu den Absatzstaaten der Produkte und Dienstleistungen erfolgen.

Eine Mindestbesteuerung von Gewinnen ist der zweite Baustein. Während aus der OECD Werte von zehn bis 12,5 Prozent genannt wurden, preschte die neue US-Finanzministerin Janet Yellen mit 21 Prozent vor. Schließlich soll dort die Gewinnsteuer von derzeit 21 auf 28 Prozent angehoben werden. Die G7 einigten sich nun auf den Kompromiß von 15 Prozent. Die US-Tax Foundation gibt als Durchschnittsbelastung in 177 Rechtsräumen knapp 24 Prozent an. In Deutschland sind es inklusive der Gewerbesteuer 31 Prozent, in Großbritannien 19, in Irland 12,5 und in Ungarn nur neun Prozent.

Je nach Höhe ist die Mindeststeuer demnach unwirksam oder aber eine offensichtliche Strategie des Verdrängungswettbewerbs. Zudem liegen die Tücken im Detail: Gewinne von Tochterunternehmen aus Ländern, die sich einer Mindeststeuer widersetzen, müßten im Sitzstaat der Muttergesellschaft nochmals belastet werden. Im Falle Irlands würde bei einer 15prozentigen G7-Mindeststeuer eine Nachversteuerung von 2,5 Prozent stattfinden. Alternativ könnte ein Betriebsausgabenabzugsverbot greifen. Dann könnten Zahlungen für Patente oder Markenrechte an die irische Tochter ab einer gewissen Höhe nicht mehr steuermindernd von der US-Mutter angesetzt werden.

Zudem müßte man sich auf eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage einigen, um Umgehungen auszuschließen. Positiv daran: Privilegien und Lobbyismus hätten weniger Chancen. Die sinkende Nettorendite stellt jedoch eine Verteuerung des (Eigen-)Kapitaleinsatzes dar. Die Übernahme von Risiken, für die dieses Kapital haftet, würde unattraktiver. Die wirtschaftliche Dynamik könnte Schaden nehmen. Infolge des Phänomens der Steuerüberwälzung dürften zudem langfristig die Verbraucher die höheren Gewinnsteuern durch Preiserhöhungen tragen.

Eine Lösung sollte am Grundproblem, der Mobilität der Steuerbasis, ansetzen: Die Besteuerung könnte am ortsgebundenen Konsum und am Eigentum, also bei den Aktionären und Grundbesitzern, ansetzen. Damit wären die Mehrwertsteuer, die Kapitalertragssteuer und auch die Grundsteuer als Einnahmequellen zu stärken. Aufgrund der langfristigen Überwälzung jeder Steuer auf die Endnachfrage wären auch Einwände einer mangelnden Gerechtigkeit entkräftet. Eine Gewinnverschiebung wäre bei allgemeiner Senkung der Gewinnsteuer nicht mehr zielführend. Solche „Immobilitätssteuern“ sind überaus einfach und praktikabel.

Der Standortwettbewerb würde abseits eines „ruinösen Steuerwettbewerbs“ erhalten bleiben und dafür sorgen, daß die Regierungen durch die Möglichkeit der Abwanderung von Firmen weiterhin für effiziente Rahmenbedingungen der Produktion sorgen müßten.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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