© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

„Löchrig wie ein Schweizer Käse“
Finanzreform: Friedrich Merz will über die Erbschaftssteuer reden / Der Ex-Wirtschaftsweise Bert Rürup argumentiert mit dem Vorbild USA
Thomas Kirchner

Mit höheren Steuern läßt sich in Deutschland punkten, wenn es scheinbar nur eine wohlhabende Minderheit trifft. Selbst Friedrich Merz, Vizepräsident des Wirtschaftsrats der CDU, will statt einer Steuererklärung auf dem Bierdeckel nun sogar über höhere Erbschaftssteuern „reden“ – im Rahmen einer Unternehmenssteuerreform (JF 22/21). Und der keineswegs sozialromantische Ex-Wirtschaftsweise Bert Rürup (SPD) pflichtete Merz im Handelsblatt prompt bei: „Trotz mehrerer Reformen in den vergangenen Dekaden ist die Bemessungsgrundlage dieser Steuer löchrig wie ein Schweizer Käse.“

Hohe Freibeträge für „Omas Häuschen“, niedrige Steuersätze und eine breite Bemessungsgrundlage gewährleisten, daß das gesamte Vermögen belastet werde, glaubt Ökonomieprofessor Rürup. „Wer dies bereits für Sozialismus hält, der sollte einen Blick in die USA werfen. Dort erhebt der Bund eine Nachlaßsteuer.“ Ja, die Federal Estate Tax liegt mit 40 Prozent über dem Höchstsatz der deutschen Steuerklasse I von 30 Prozent. Entferntere Verwandte kommen in Deutschland aber auf 50 Prozent.

Die Phantasie der Steuerberater ist praktisch unbegrenzt

Und je nach Bundesstaat können auch noch lokale Erbschaftssteuern dazukommen, so daß die Gesamtbelastung in den USA sogar noch höher liegen kann – zumindest theoretisch. Aber es zählen nicht Steuersätze, sondern Ausgestaltung und Bemessungsgründe, wie Rürup selbst argumentiert. Die US-Erbschaftssteuer wird nicht von den Erben gezahlt, sondern fällt auf das Vermögen des Verstorbenen an. Und diese „Todessteuer“ ist unabhängig von der Verteilung des Erbes. Nur ein einziger Freibetrag fällt für den Verstorbenen an. 2021 sind das wegen Donald Trumps Steuerreform 11,7 Millionen Dollar. Oberhalb des Freibetrags fallen 40 Prozent an, mehr als das Doppelte des OECD-Durchschnitts von 15 Prozent. In Deutschland fällt im Erbfall ein Freibetrag an, pro Kind beispielsweise 400.000 Euro. Man bräuchte 24 Kinder, um in Deutschland einen Gesamtfreibetrag wie in den USA zu erreichen. Bei einer Erbschaft von 15 Millionen Dollar wären in den USA knapp 1,4 Millionen Dollar fällig, bei dem gleichen Erbe eines einzigen Kindes würde der deutsche Fiskus mit etwa 2,7 Millionen Euro zugreifen, bei zwei Kindern insgesamt mit 2,2 Millionen.

So zahlen US-Erben bei bis zu zweistelligen Millionenvermögen insgesamt weniger. Liegt das Erbe höher, greifen Wertminderungsmethoden: Wie das „Stuttgarter Verfahren“ in Deutschland bis 2008 Firmen zu niedrig bewertete, können Amerikaner Wertabschläge von 30 Prozent für illiquide Unternehmensanteile beanspruchen – also werden Firmen so strukturiert, daß die Anteile „zahlungsunfähig“ sind. So läßt sich ein 18-Millionen-Unternehmen unter den Freibetrag drücken. Lebensversicherungen oder Treuhandstiftungen („Trusts“) ermöglichen Steuerreduzierung auf Aktien und Anleihen, denn vererbt wird dann ein Zahlungsanspruch, der weniger Wert hat.

Die Phantasie der Steuerberater ist unbegrenzt, und fast alle US-Parlamentarier sind Multimillionäre und profitieren davon. Anschaulich wurde das durch die den US-Demokraten zugeneigte Chicagoer Familie Pritzker (Hyatt Hotels & Resorts) und deren Zoff um Milliarden – die zerstrittenen Familienmitglieder verklagten einander wegen einer aus steuerlicher Sicht gar nicht existierenden riesigen Erbmasse. All das erklärt, warum die Estate Tax ein fiskalischer Flop ist: 2019 generierte sie nur 0,6 Prozent der US-Steuereinnahmen, das deutsche Pendant bringt 0,9 Prozent.