© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Eine neue Eskalation
Linksextremistischer Terror: Zunehmende Gewalt und Brandstiftungen in Thüringen
Martina Meckelein

Roland Wuttke, zweiter Vorsitzender des Vereins Gedächtnisstätte, dem das Rittergut Guthmannshausen in Thüringen gehört, ist geschockt: „Wir fühlten uns auf einer Insel der Glückseligen. Hier wurden nie Fensterscheiben eingeschlagen.“ Nun schaut er aus dem ersten Stock des 800 Jahre alten Gebäudes auf verkohlte Holzbalken des eingestürzten Daches. Im Erdgeschoß stemmen angerußte Marmorsäulen noch einen Teil der Decke in die Höhe. „Das war eine falsche Sicherheit“, sagt er. 

Das Herrenhaus ist im April dieses Jahres einem Brandanschlag zum Opfer gefallen – ein Millionenschaden. „Im Jahr 2011 kaufte der Verein, durch Spenden finanziert, das Gebäude vom Freistaat“, sagt Wuttke. 1.000 Quadratmeter groß, dazu Nebengebäude und Park. Jetzt sind rund 600 Quadratmeter zerstört. Das Rittergut Guthmannshausen steht öfter in der Presse. Ursula Haverbeck, verurteilte Holocaust-Leugnerin, Nikolai Nerling, der „Volkslehrer“, oder der ehemalige Thüringer Landeschef des Bundes der Vertriebenen und wegen Volksverhetzung verurteilte Paul Latussek waren hier, teils Mitglieder des Vereins. Für Wuttke ist das kein Problem. „Wir haben hier ein älteres Publikum ab 60 Jahre, das sind keine Kampfsportgruppen.“

Der Verein Mobit, er wurde 2001 von der Jüdischen Landesgemeinde, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland gegründet, sieht das grundsätzlich anders. Im Vorwort zu der Broschüre „Nach den rechten Häusern sehen – Immobilien der extrem rechten Szene in Thüringen“ ist zu lesen, er sei „überzeugt davon, daß der Erwerb oder die regelmäßige Nutzung von Immobilien durch Neonazis nicht tatenlos hingenommen werden darf, denn sie stellen einen der wichtigsten Stützpfeiler neonazistischer Aktivitäten und Strukturen dar.“ Auch Guthmannshausen wird ausgiebig in der Broschüre beschrieben.

 Wuttke, er kandidierte mehrfach für die NPD in Bayern, vermutet Linksextremisten hinter dem Anschlag. Das Landeskriminalamt (LKA) hat die Ermittlungsgruppe „Ritter“ gegründet. „Hinsichtlich einer politisch motivierten Tatausführung gibt es bisher keine Hinweise, dementsprechend werden die Ermittlungen in alle Richtungen geführt“, so das LKA gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

 „Ich vermute, daß die Täter das Gebäude observierten“, sagt Wuttke, „dann haben sie einen Drahtzaun überklettert.“ Zu dem eingesetzten Brandbeschleuniger will sich das LKA nicht äußern. Wuttke vermutet, die Täter haben Unterbodenschutz benutzt. Die teerartige Masse klebt auch auf den großen Gedenkstelen, die als Erinnerung für die Vertriebenen und Toten des Zweiten Weltkriegs im Park des Rittergutes stehen. „Das bekommt man in Spraydosen, ist leicht zu transportieren“, sagt er. Laut Wuttke müssen sich die Brandstifter gut im Hause ausgekannt haben. „Die liefen im toten Winkel der Kameras, die wußten, wo die Alarmanlage war.“

Linke Waffen: Schlagstock, Hammer und Pfefferspray

Vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Mai 2021 wurden dem Thüringer Landeskriminalamt 18 Straftaten auf Objekte der sogenannten rechten Szene bekannt. „Dabei entstand ein Sachschaden im sechsstelligen Bereich“, so das LKA gegenüber der jungen freiheit. Elf Delikte, unter anderem Sachbeschädigung, schwere Brandstiftung, besonders schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion konnten die Fahnder dem Phänomenbereich Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) Links zurechnen. In drei Fällen handelt es sich laut LKA um kein Staatsschutzdelikt, in vier Fällen sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Insgesamt wurden fünf Menschen verletzt. Allerdings handele es sich bei den Fallzahlen 2021 um vorläufige Angaben, so das LKA, da die Meldungen noch nicht qualitätsgeprüft und somit nicht als endgültig anzusehen seien.

 Während im Fall des Brandanschlags auf das Rittergut die Ermittler immerhin spärliche Informationen herausgeben, hüllte sich der Generalbundesanwalt im Fall der Linksextremistin Lina E. (26) lange Zeit in völliges Schweigen. Die junge Frau, gebürtig aus Kassel, studiert in Halle, wurde Ende vergangenen Jahres in Leipzig-Connewitz verhaftet. Das Foto, wie diese aparte junge Frau im Minirock und langen brünetten Haaren am 5. November in Karlsruhe einem Polizeihubschrauber entsteigt, wurde deutschlandweit bekannt. Nein, so stellt sich niemand eine kreuzgefährliche Linksextremistin vor, die über eine Horde von brutalen Schlägern die Kommandogewalt hat. Eines ihrer Opfer sprach mit der JF.

 „Kommen Sie herein“, sagt lächelnd Leon Ringl (23). Er ist Wirt der Gaststätte „Bull’s Eye“ in Eisenach. Die Kneipe liegt im Hochparterre eines Gründerzeithauses. Sie gilt als „rechter“ Szenetreff. Ringl sagt, daß er nicht in der NPD sei und die ganze Aufregung nicht verstehe. „Hier kommen jede Woche zwei Kommunisten rein, sind Stammgäste. Nachmittags sitzen hier nur Rentner.“ 

Die Fassade ist bunt bemalt. Ein Graffito. Die Aufschrift: Wir bleiben. Dazu eine schwarze Bombe. Innen sind 35 Sitzplätze, auf jedem Tisch stehen Aschenbecher, es riecht streng. „Das ist noch die Buttersäure vom Sprengstoffanschlag am 11. Januar von diesem Jahr“, sagt Ringl. Der vierte und bisher letzte Anschlag auf ihn. Doch der, durch den die Ermittlungen gegen Lina E. im Grunde ins Rollen kamen, fand am 19. Oktober 2019 statt.

 „Es war um 1 Uhr morgens, ich war gerade dabei, die letzten Gläser abzuwaschen. Drei Gäste und ein Freund von mir waren noch in der Kneipe, alle hier am Tresen, einer schlief. Ein Taxifahrer wartete auf uns, sollte uns nach Hause fahren. Und plötzlich kam eine große Gruppe herein, alle vermummt. Die kamen schweigend auf mich zu. Ich dachte erst an einen Scherz, doch dann hörte ich das Ausziehen eines Teleskopstocks.“ Der erste Schlag traf den schlafenden Gast am Hinterkopf. Dann wurde Ringl das Ziel. 

„Ein größerer Typ kam um den Tresen herum und versuchte auf mich einzuschlagen. Den konnte ich mit dem Arm abwehren. Ich versuchte meinen Schlagstock, der unter dem Tresen lag, zu greifen, doch der fiel hinten runter. Da schnappte ich mir die Biergläser, Halbliterkrüge, und warf sie gegen den Mann.“ Zwei Treffer, der Große geht zu Boden. Wenn Ringl das Geschehen schildert, scheint er in dem Moment den Angriff vor seinem geistigen Auge abzuspulen. Er kann jeden Schritt, jede Bewegung abrufen, macht sie vor. Den Benommenen ziehen die Vermummten zu zweit von der Wand weg. Ringl wirft weiter mit Bierkrügen, sein Freund verteidigt sich mit einem Barhocker. Es fliegen Aschenbecher und sausen Schlagstöcke durch die Luft. „Plötzlich hörte ich eine Frauenstimme. Die befahl: ‘Zurück!’ Und all die Angreifer hörten auf sie.“ Doch den Befehl gibt die Frau nur, um ihre Truppe zu schützen. Denn jetzt setzt sie Pfefferspray ein. „Das war kein leichter Nebel, hier war alles naß.“ So schnell sie gekommen sind, so schnell türmen die Angreifer. Der Taxifahrer alarmierte die Polizei.

Am 14. Dezember 2019, nicht einmal zwei Monate später, überfallen vermutlich dieselben Täter Ringl vor seiner Wohnung in Eisenach. Eine der Vermummten soll Lina E. sein. Sie setzt gegen Ringl Pfefferspray ein. Er verteidigt sich mit einem Teppichmesser. „Die versuchten mich alle einzukreisen und von hinten anzugreifen.“ Ihre Waffen: Schlagstöcke, ein Hammer, Radschlüssel und Stangen. „Als die Frau das Messer in meiner Hand sah, sagte sie zu mir: „Zeig mir, daß es wirklich ein Messer ist, dann brechen wir ab.“ Ihre Kumpane werden immer verzweifelter. „Einer brüllte mich immer an: Du Bastard, du Hurensohn, komm her!“ 

Auch Ringls Freunde, die ihn nach Hause gefahren hatten, werden angegriffen. Die Linken zertrümmern die Autoscheiben, sprühen Reizgas in den Innenraum und rammen Schlagstöcke und Stangen, so die Ermittler später, in die Opfer. „Und plötzlich rannten alle zu den Autos.“ Eines gehört Lina E., mit geklauten Kennzeichen, ein anderes einem gewissen Jonathan M. Mit überhöhter Geschwindigkeit rasen sie davon. Das fällt einer Streife auf, die auf dem Weg zu Ringl ist. Die Polizei nimmt die Verfolgung auf und stellt Lina E. im Eisenacher Stadteil Ramsborn. Das zweite Auto wird bei Herleshausen gefunden, der Fahrer später in Hessen.

Nach mindestens zwei weiteren Überfällen nimmt die Polizei die linksextreme Bande um Lina E. am 5. November 2020 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. November 2020 fest. Lina E. bleibt in Haft, Lennart A., Jannis R. und Jonathan M. sind auf freiem Fuß. Die Bundesanwaltschaft erhebt am 14. Mai Anklage vor dem OLG Dresden. Sie wirft ihnen vor, sich als Mitglieder an einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben. Speziell der Frau: Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, besonders schwerer Landfriedensbruch, räuberischer Diebstahl, Sachbeschädigung und Urkundenfälschung.

Das Thüringer Landeskriminalamt schätzt die Gewaltentwicklung in der linksextremistischen Szene pessimistisch ein: „Qualität und Quantität von Straftaten der linksextremistischen Szene gegen Personen und Objekte (nicht nur) der rechten Szene im Freistaat Thüringen weisen darauf hin, daß eine neue Eskalationsstufe erreicht worden ist.“ Guthmannshausen

Foto: Haftvorführung Lina E.: Ermittler sollen bei ihr 26.000 Euro entdeckt haben – finanzierte sie durch Drogenhandel die Anschläge?