© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Zeitschriftenkritik: Seite 9
Neue Moden haben eine Bringschuld
Werner Olles

Michael Ludwig, der zwischen 2007 und 2011 die zweimal monatlich erscheinende Zeitschrift für Politik und Kultur Gegengift herausgab und anschließend für die JUNGE FREIHEIT einige Jahre aus seinem neuen Domizil in Spanien berichtete, legt mit Seite 9 nun ein Magazin vor, dessen programmatische Ausrichtung bereits im Impressum eindeutig formuliert ist: „Seite 9 versteht sich als Zeitschrift für Politik, Kultur und andere kriminelle Machenschaften. Die Verknüpfung von Politik mit dem kriminellen Milieu ist bewußt gewählt, bedeutet Politik in sehr vielen Fällen doch nichts anderes als das skrupellose Wettrennen zu den Futtertrögen der Macht und der öffentlichen Hand. Die Zeitschrift hält es deshalb für diskussionswürdig, die Frage zu stellen, ob die parlamentarische Demokratie noch das geeignete Mittel dafür ist, die Probleme unserer Zeit zu lösen.“ Und weiter: „Die Zeitschrift ist unabhängig und überparteilich, sie ist im Zweifelsfall konservativ, denn links zu sein bedeutet, wie Nicolás Gómez Dávila einmal süffisant bemerkte, mit vorausdatierten Schecks zu zahlen – das gilt sowohl für materielle Güter, wie auch für jene, die auf moralische Bestellungen ausgestellt sind.“ Mit vollem Recht vertritt Seite 9 auch die Ansicht, „daß neue Entwicklungen und Moden eine Bringschuld haben; sie sind es, die ihre Legitimation beweisen müssen, nicht das bereits Bestehende“.

Ganz grundsätzlich werden die Gegensätze zwischen den kulturellen und ökonomischen Eliten der Metropolen und den einfachen Menschen auf dem Land aufs Korn genommen. Die Großstadt-Intellektuellen treten als „Lehrer der Nation“ auf, grenzen andere aus dem politischen Diskurs aus oder zerstören ihre wirtschaftliche Existenz, während jene, die auf dem Land leben die Ärmel aufkrempeln, mit der Natur leben und sich in der Regel aufeinander verlassen können. Mit einem Wort: Sie haben Substanz. In der Metropole existiert die Natur jedoch nicht mehr: „Sie wurde von einem Menschenschlag ins Aus befördert, der heute, nachdem er begriffen hat, welchen Schaden er angerichtet hat, einfach weiterzieht und sich eine neue Spielwiese sucht.

Die aktuelle Ausgabe (Mai & Juni 2021) enthält einen Beitrag des verstorbenen Schriftstellers Ulrich Schacht über das Verhältnis von Stadt und Land; zwei Seiten mit Glossen von Karl Kraus (1874–1936), der im Alter von 25 Jahren die legendäre Zeitschrift Die Fackel gründete, und den Leitartikel „Phrasen und Bullshit“, in dem phrasendreschende Fußballstars mit Politikern um die Wette konkurrieren. Doch während man sich bei den Fußballer-Sprüchen immerhin noch amüsiert, lassen einen die Phrasen unserer Volksvertreter geplättet zurück.

Kontakt: Verlag Seite 9, Gerstenstr. 2, D-85276 Pfaffenhofen. Das Einzelheft kostet 3,50 Euro, ein Jahresabo 21 Euro.