© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Zweitausendneunhundertvierundachtzig! Das ist für mich die Zahl dieses Monats. So viele Seiten umfaßt die vierbändige Ausgabe im Schmuckschuber „Berlin wird Berlin“ des Kulturkritikers Alfred Kerr (1876–1948), die soeben im Wallstein-Verlag, Göttingen, als editorische Großtat erschienen ist. Sie enthält „Plauderbriefe“ aus 25 Jahren, die Kerr für die Sonntagsausgabe der Königsberger Allgemeinen Zeitung verfaßte. Die Texte aus der Reichshauptstadt setzen im Juni 1897 ein und enden im September 1922. Sie galten jahrzehntelang als verschollen. Jetzt geben die Briefe mit Schilderungen aus dem kulturellen und sozialen Leben Berlins jener Umbruchjahre von der Kaiserzeit über den Ersten Weltkrieg und die Revolution bis zur Weimarer Republik der Stadt „ein Stück lebendiger Vergangenheit zurück“, wie die Herausgeberin und Kerr-Biographin Deborah Vietor-Engländer schreibt. Nicht nur für Hauptstädter unverzichtbar!

Endlich öffnen nach und nach Kultureinrichtungen wieder ihre Pforten für das Publikum.

Lesefundstück: „Unsere Welt wird nicht von blinden Wissenschaftlern oder Gelehrten gerettet werden. Sie wird von Dichtern und Kämpfern gerettet, von denen, die das ‘Zauberschwert’ geschmiedet haben, von dem Ernst Jünger sprach, das geistige Schwert, das Monster und Tyrannen erblassen läßt. Unsere Welt wird von den Wächtern gerettet, die an den Grenzen des Königreichs und der Zeit postiert sind.“ (Dominique Venner, Histoire et tradition des Européens: 30 000 ans d’identité. Éditions du Rocher, Monaco/ Paris, 2002)


Der mediale Höhenflug des Postergirls der Grünen, Annalena Baerbock (Stern: „Endlich anders“, Spiegel: „Die Frau für alle Fälle“), scheint erstmal ins Stocken geraten zu sein. Zu Recht ist sie angesichts der Schummeleien in ihrem Lebenslauf und ihrer Wissenslücken in die Kritik geraten. Wie sich dabei Mängelrügen mit Komik verbinden können, führt der Publizist Matthias Matussek auf seiner Netzseite vor. Bereits seit Mitte Mai veröffentlicht er dort „Anna-Lenas Tagebuch“, die jüngste Folge stammt von Montag dieser Woche nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Zitat: „Wir sind von 5,2 auf 5,9 Prozent geklettert, das ist eine Steigerungsrate von mindestens 15–20 Prozent, ich laß das noch ausrechnen.“ Mehr dazu unter www.matthias-matussek.de.


Corona war gestern, endlich öffnen nach und nach Kultureinrichtungen wieder ihre Pforten für das Publikum. Mich interessiert insbesondere die lange verschobene Premiere von „Das Rheingold“ an der Deutschen Oper Berlin. Sie findet diesen Samstag statt. Bis zum 27. Juni folgen fünf weitere Vorstellungen, für alle gibt es noch einige wenige Restkarten. Regie führt der Norweger Stefan Herheim, die musikalische Leitung liegt in den Händen von Donald Runnicles. Den Wotan gibt der australische Baßbariton Derek Welton. Laut Vorankündigung steht im Zentrum von Herheims Neuinszenierung  „die Beschwörung des Mythos als Versuch der Menschen, sich die Welt immer wieder neu zu erklären und die eigene Existenz durch das Spiel zu begreifen“. Weitere Infos und Karten unter www.deutscheoperberlin.de.