© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Alle meine guten Wünsche begleiten den Herero-Häuptling Vikuii Reinhard Rukoro. Ich hoffe, daß er genug Ideen und Leute hat, um seine Ankündigung wahrzumachen, unserem Staatsoberhaupt einen unvergeßlichen Empfang zu bereiten, wenn das zum allfälligen Bekenntnis deutscher Schuld in Namibia ankommt.

˜

Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2017 hatte Macron sich im Namen der notwendigen „Moralisierung des öffentlichen Lebens“ mit starken Worten für „Transparenz im Hinblick auf die Vergütung“ der politischen Repräsentanten ausgesprochen. Bezeichnenderweise erhielt Lucie Sponchiado, Mitglied des Thinktanks Observatoire de l’éthique publique (Observatorium der öffentlichen Ethik), der 2018 gegründet wurde, um Licht in die finanziellen „Grauzonen“ der Republik zu bringen, nun aus dem Elysée die Mitteilung, daß die Alimentierung des Oberhaupts der Republik sie im Detail nichts angehe.

˜

Die rituelle Beschimpfung des Wählers-Ost recycelt immer dieselben Argumente. Gedanklicher Fortschritt findet nicht statt. Ist auch nicht gewollt. Denn sonst drohte die nüchterne Einsicht, daß das mit der Tirade gegen die Bevölkerung Brandenburgs, Sachsens, Sachsen-Anhalts, Thüringens und Mecklenburg-Vorpommerns verbundene Lob des Wählers-West wenig mit dessen demokratischer Reife, der Aufmerksamkeit im Sozialkunde-Unterricht oder regelmäßiger Habermas-Lektüre zu tun hat, viel mit Konformismus, Gewöhnung und jenem Faktor, der am stärksten zur Legitimität einer politischen Ordnung beiträgt: das Funktionieren. Hingegen trifft man bei den Einwohnern des „Beitrittsgebietes“ auf jede Menge gesundes Mißtrauen gegenüber offiziellen Sprachregelungen und Denkverboten, enttäuschte Erwartungen und den Eindruck, daß es mit dem Funktionieren hapert. Was wiederum die unbotmäßigen Wahlentscheidungen oder die Zusammenrottung auf öffentlichen Plätzen und Straßen bei frecher Wahrnehmung von Grundrechten erklären hilft.

˜

„Die oberflächlichen Gefühle sind oft von langer Dauer, nichts kann sie brechen, weil nichts sie einengt. Sie folgen den Umständen, verschwinden und kommen wieder zurück, während die tiefen Empfindungen endgültig zerreißen und an ihrer Stelle eine schmerzende Wunde zurücklassen.“ (Germaine de Staël)

˜

Während der Alarmruf französischer Militärs zur Lage ihrer Nation in Deutschland ein erhebliches Echo gefunden hat, bleibt alles stumm angesichts des Appells von mehr als 150 Generälen und Admiralen der US-Streitkräfte im Ruhestand, der unter dem Titel „Flagofficers 4 America“ (https://flagofficers4america.com) publiziert wurde. Es handelt sich um einen in dieser Form wohl noch nie dagewesenen Angriff höchster Offiziere der Armee, der Luftwaffe und der Marine auf einen amtierenden Präsidenten und den Kongreß. In ihrem auf den 4. Mai datierten offenen Brief erklären sie, daß die Vereinigten Staaten sich zu keinem anderen Zeitpunkt seit ihrer Gründung in so großer Gefahr befunden hätten. Es seien nichts weniger als Verfassung und Freiheit in Gefahr. Bedroht würden sie durch eine Administration, die quasi „diktatorisch“ durchregiere, aber gleichzeitig dem Mob die Straßen überlasse, die die außenpolitischen Bedrohungen durch China und den Iran in grotesker Weise unterschätze, während sie die Grenzen für unkontrollierte Einwanderung öffne, die das Rechtsstaatsprinzip außer Kraft setze, ihre Maßnahmen mit Hilfe einer undurchschaubaren Reform der Institutionen zu decken suche und nebenbei an der kollektiven Umerziehung der Bevölkerung arbeite.

˜

Die Bundeswehr zieht aus Afghanistan ab. Bleibt die Frage, wer fürderhin unsere Freiheit und das Grundgesetz am Hindukusch verteidigt.

˜

„Denn der Begriff rechts benennt zunächst eine Selbstverständlichkeit: Daß es auch Demokraten gibt, die nicht links sind. Wer also keine Unterscheidung von rechts und rechtsextrem mehr trifft, beschneidet die Vielfalt der in einer Demokratie zulässigen Meinungen.“ (Anna Schneider in der Welt, Online-Ausgabe vom 1. Juni)

˜

Warum verknüpft sich mit „Gewohnheit“ gewohnheitsmäßig das Adjektiv „schlechte“?

˜

Zwei Nachrichten an einem Tag: (1) Die „Evangelischen Frauen in Deutschland“ protestieren gegen die neue „BasisBibel“, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde. Unterzeichnet haben den offenen Brief an die Deutsche Bibelgesellschaft die Vorsitzende Susanne Kahl-Passoth und deren Stellvertreterin Angelika Weigt-Blätgen. Sie stören sich vor allem an einer Erklärung, der zufolge der hebräische Gottesname Jahwe im Deutschen mit „Herr“ zu übersetzen sei. Kritisch fragen die Damen nach: „Welches Gottesbild vermittelt dies insbesondere jungen Leser*innen? Hätte die Bibel mit ihrer Fülle an Gottesbildern nicht eine Übersetzung verdient, die diese Fülle auch im Gottesnamen spiegelt?“ Und: Bedauerlich sei, daß man die „traditionelle Androzentrik“ immer noch nicht überwunden habe. (2) Nach einer Prognose des Instituts für Kirchenbau an der Universität Marburg werden bis zum Jahr 2060 etwa 15.000 Kirchengebäude in Deutschland – ein Drittel des Gesamtbestande – überflüssig sein. Die Ursache: breites Desinteresse an den hier angebotenen Diensten und Meinungen.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 25. Juni in der JF-Ausgabe 26/21.