© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Ein schicksalhafter Sieg
Vor 2.500 Jahren entschied die Schlacht von Plataiai den Perserkrieg zugunsten der Griechen
Ludwig Witzani

Die Perserkriege zählen zweifellos zu den großen Dramen der Weltgeschichte. Lange Zeit galten sie als Schicksalsstunde des Abendlandes, in der sich ein kleines Volk gegen ein Weltreich behauptete, um anschließend seine geschichtliche und kulturelle Einzigartigkeit zu entfalten.  

Der Gegner der Griechen war das Weltreich der persischen Achaimeniden, ein Imperium neuer  Art, das den unterworfenen Völkern zwischen Indus und Donau ihre Kulte, Traditionen und Eigenleben weitgehend beließ, wenn sie nur die Oberhoheit des Großkönigs anerkannten und regelmäßige Tribute zahlten. Von dieser imperialen Warte aus waren die griechischen Städte an der östlichen Ägäisküste nichts weiter als unruhige Untertanen, die sich im Jahre 499 v. Chr. gegen die Perser erhoben und ohne Schwierigkeiten wieder zur Räson gebracht wurden.  

Damit hätte es sein Bewenden haben können, hätten sich nicht Athen und Eretria dazu hinreißen lassen, den ionischen Stammesbrüdern mit kleinen Schiffskontingenten zu Hilfe zu eilen. Das wertete der persische Großkönig Dareius (511 bis 486 v. Chr.) als unverschämte Respektlosigkeit und entschloß sich, das winzige Land an seiner Westgrenze seinem Weltreich einzuverleiben. Überraschenderweise scheiterte dieser Plan in der berühmten Schlacht von Marathon 42 Kilometer vor den Toren Athens.     

Diese Niederlage im sogenannten „ersten Perserkrieg“ aber brachte das freie Griechenland erst Recht in den Fokus des Perserreiches. Darius’ Sohn und Nachfolger Xerxes (486 bis 465 v. Chr.) war nicht gewillt, diese Schmach auf sich sitzen zu lassen. Langsam und sorgfältig mobilisierte er die gewaltigen Machtmittel des Reiches, um den lästigen Zwerg an der Westgrenze in einem zweiten Angriff zu zerquetschen. Über zwei gewaltige Pontonbrücken überquerte die Vielvölkerarmee 480 v. Chr. die Dardanellen, während sie zur See von einer Flotte aus vorwiegend phönizischen Schiffen begleitet wurde.

Die Griechen hatten in ihrer notorischen Uneinigkeit erhebliche Schwierigkeiten, sich auf diese Bedrohung einzustellen. Griechenlands mächtigster Staat war Sparta, eine waffenstarrende Militäraristokratie, die den Peloponnes mit Hilfe des „Peloponnesischen Bundes“ beherrschte. Athen war erst seit kurzem zu einer ernstzunehmenden Seemacht geworden, weil der Politiker Themistokles seine Mitbürger überredet hatte, die Erträge des Silberbergwerks von Laurion nicht unter die Bürger zu verteilen, sondern in den Bau einer Flotte zu investieren. Athener zur See und Spartaner zu Land trugen die Hauptlast des nun ausbrechenden Verteidigungskrieges. 

Eine vom spartanischen König Leonidas errichtete Blockade bei den Thermopylen in Mittelgrie-chenland wurde von der persischen Armee umgangen und trotz heldenhafter Gegenwehr vernich-tet. Da gleichzeitig die persische Flotte am Kap Artemision die griechische Flotte zurückdrängte, stand Griechenland den Eroberern offen. Panisch floh die Bevölkerung Athens auf die umliegenden Inseln, während die Spartaner und ihre Verbündeten eine zweite Verteidigungslinie am Isthmus von Korinth errichteten. Der Krieg schien verloren, als die persische Flotte in der Bucht von Salamis die griechische Flotte stellte.   

Griechenlands Zukunft stand auf des Messers Schneide

Bekanntermaßen ist es ganz anders gekommen. Der Großkönig mußte vom Ufer aus mit ansehen, wie die wendigen kleinen Schiffe der Athener die großen phönizischen Galeeren eine nach der anderen versenkten. Am Ende des Tages war die persische Flotte geschlagen, und der Großkönig zog sich mit dem Rest seiner Flotte in die östliche Ägäis zurück. Seitdem rangiert das Datum der Seeschlacht von Salamis unter den Premiumdaten der Weltgeschichte ganz oben. 

In Wahrheit war der Kampf noch lange nicht entschieden. Noch immer stand das bisher unbe-siegte persische Landheer mitten in Griechenland. Nicht ohne Aussicht auf Erfolg versuchte der persische Oberbefehlshaber Mardonios während der Überwinterung in Thessalien die griechische Koalition diplomatisch zu sprengen. Über König Alexander I., den makedonischen Vasall der Perser, bot er den Athenern einen vorteilhaften Sonderfrieden an, wenn sie sich nur bereit erklärten, die Oberherrschaft des Großkönigs anzuerkennen. Als die Athener das Angebot der Perser ablehnten, verwüstete die persische Armee Athen ein zweites Mal.  

Erst jetzt entschlossen sich die Spartaner und ihre Verbündeten, ihre Stellungen am Isthmus auf-zugeben und sich den Persern in einer Entscheidungsschlacht zu stellen. Im Sommer 479 v. Chr. trafen die beiden Heere in der Provinz Böotien in der Nähe der Stadt Plataiai aufeinander. Die  Vielvölkerarmee der Perser umfaßte etwa 60.000 Mann, die deutlich kleinere Streitmacht der Griechen bestand aus schwer zu führenden und eigenwilligen Kontingenten aus allen Teilen Griechenlands.  

Tagelang vermied der spartanische Oberbefehlshaber Pausanias die Schlacht, weil er die persische Reiterei fürchtete. Die Lage wurde heikel, als es den Persern gelang, die Griechen von ihrer Wasserversorgung abzuschneiden. Pausanias war gezwungen, die Linien zurücknehmen, was aufgrund mangelnder Abstimmung ins Chaos auszuarten drohte. Die Perser witterten den Sieg und griffen an, obwohl das Gelände sie an der Entfaltung ihrer Reiterei hinderte. Die Entscheidung fiel, als die persischen Kerntruppen unter der Führung des Mardonios auf die Spartaner unter Führung des Pausanias trafen. In dieser brenzligen Situation gab die Disziplin der spartanischen Phalanx den Ausschlag. Mardonios wurde im Kampf getötet, die Schlacht ging für die Perser verloren. Als es kurz darauf auch noch der griechischen Flotte gelang, die demoralisierten Reste der persischen Flotte am Kap Mykale zu vernichten, war der Krieg entschieden. 

Obwohl der Sieg von Plataiai den entscheidenden Schlußstein der Perserkriege setzte, trat dieser Triumph von Anfang an hinter dem Sieg der Athener in der Seeschlacht von Salamis  zurück. In Wahrheit stand bei Plataiai das Schicksal Griechenlands auf des Messers Schneide. Wäre diese Schlacht verlorengegangen, hätte ganz Griechenland den Truppen der Perser offengestanden. Athen war ohnehin verwüstet, und ob ein geschlagenes Sparta standgehalten hätte, erscheint unwahrscheinlich. Nach dieser Wende hätte Xerxes von Kleinasien aus eine zweite, noch größere Flotte mobilisieren können, und ob den Griechen ein zweites Salamis gelungen wäre, ist mehr als fraglich. Ohne den Sieg von Plataiai hätte es keinen Attischen Seebund gegeben, wahrscheinlich auch keine Attische Demokratie, vielleicht sogar keinen Alexander und möglicherweise auch keinen Hellenismus. Der Sieg der Griechen, namentlich der Spartaner, bei Plataiai vor genau 2.500 Jahren aber schlug eine andere Schneise in den Gang der Weltgeschichte. 

Foto: Die Griechen unter dem Befehl von Pausanias besiegen bei Plataiai die persische Übermacht: Die Disziplin der spartanischen Phalanx gab den Ausschlag