© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Der Sportsgeist verflüchtigt sich
Weil die Korruption marschiert /IOC und Fifa mit Mafiastrukturen
Dirk Glaser

Obwohl die Hintergründe um die Vergabe jener Fußballweltmeisterschaft, die der Bundesrepublik 2006 ein „Sommermärchen“ bescherte, immer noch nicht bis ins letzte ausgeleuchtet sind, hat das allgemeine Vertrauen in die „Sauberkeit“ des deutschen Sports auch nicht dadurch gelitten, daß Ermittlungen gegen Beckenbauer & Co. jahrelang immer wieder Schlagzeilen produzierten. 

Noch 2019 lobte daher das vom Bundeskriminalamt erstellte „Bundeslagebild Korruption“ den Sport – im Gegensatz zur Automobil-, Medizin- und Pharmabranche – durch Nichtbeachtung. Woraus Freya Gassmann und Michael Koch, beide wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sportökonomie und Sportsoziologie der Universität des Saarlandes, folgern, daß der deutsche Sport, ungeachtet etlicher „Fälle“, gerade vor dem Hintergrund der vielen täglichen Wettkämpfe und Entscheidungen „nicht in besonderer Weise von Korruption betroffen ist“ (Aus Politik und Zeitgeschichte, 19–20/2021).

Auf internationaler Ebene sehe das schon anders aus. Hier habe seit den 1980ern das Internationale Olympische Komitee (IOC) abschreckende Maßstäbe gesetzt. Schon 1998 konnten Bestechungsvorwürfe im Zuge der Vergabe der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City erstmals bewiesen werden. Mitglieder des nationalen Führungskomitees fanden im IOC dankbare Abnehmer für ihre 1,2 Millionen Dollar teuren „Geschenke“ in Form von Reisen, Immobilien, Universitätsstipendien und Operationen in teuren US-Kliniken. Das waren allerdings Peanuts im Vergleich mit der vorerst letzten spektakulären Schiebung im Weltfußball-Verband Fifa, die das US-Justizministerium deswegen als eine nach dem Anti-Mafia-Gesetz zu überwachende Organisation einstufte: 150 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern machten brasilianische Fußballfunktionäre bis 2018 locker, um sich TV-Rechte in den USA zu sichern.

Inzwischen ist die Korruptionsbekämpfung im Sportbereich zum Gegenstand der bei solchen Anlässen üblichen „Good Governance“-Beschwörungen von Unesco, Weltbank, OECD und natürlich der EU geworden. Und die Vereinten Nationen verabschiedeten jüngst eine ihrer form-, frist- und nutzlosen Resolutionen „Gegen Korruption im Sport“. Weil es diesen gern Weltregierung spielenden Organisationen dämmert, daß sich das Ausmaß der Korruption im Umfeld der Vergabe von Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften verheerend auf die Moral der Gesellschaften der Gastgeberstaaten auswirkt. Dabei habe bis vor wenigen Jahren – in manchen Sportarten noch heute – der von ehrlichem Leistungswillen und Fairneß geformte „Sportsgeist“ auch auf die Kultur jenseits der Wettkampfstätten ausgestrahlt. Heute komme dieser „Sportsgeist“ überall unter die Räder der Korruption begünstigenden Kommerzialisierung. Damit wächst die Gefahr, daß das „Produkt Sport“ nicht wie bisher zur Festigung von Gesellschaften tauge, deren Zusammenhalt infolge der Globalisierung erodiert.