© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Machtpolitik mit Rasse
Eine treffende Analyse der dogmatischen linken Identitätspolitik von Judith Sevinç Basad
Zita Tipold

Judith Sevinç Basad läßt sich nicht zum Opfer machen, und sie schämt sich auch nicht. Diese Verweigerung ist schon ein kleiner rebellischer Akt gegen die „woke“ Identitätspolitik voller Anklagen und Doppelmoral. Zuletzt mehren sich die Stimmen gegen eine offenbar fehlgeleitete politische Linke. So empörte sich die französische Feministin Caroline Fourest jüngst in ihrem Buch „Generation beleidigt“ (JF 13/21) über ein neulinkes Milieu radikaler Millennials. Auch Basad wehrt sich nun gegen „Ideologen“, die ihrer Ansicht nach über „gut und böse“ bestimmten. 

Denn was als überholt geglaubt galt, ist längst zurückgekehrt: Nach dem Willen der Anhänger woker Theorien sollen Faktoren wie Hautfarbe oder Geschlecht durchaus über die gesellschaftliche Stellung entscheiden. Eine Ungleichbehandlung ist wieder ausdrücklich erwünscht. Was wir derzeit erleben, sei kein Kampf gegen, sondern ein Kampf für Diskriminierung, verdeutlicht Basad in ihrem Buch. 

Folgt man den neulinken Ideen, durchzieht „struktureller Rassismus“ scheinbar jeden unserer Lebensbereiche. So skizziert die Bloggerin und Autorin, wie das Tragen von Federschmuck als „kulturelle Aneignung“ und die klassische Mathematik als vermeintliches Produkt eines westlichen Kolonialismus verteufelt werden. Die Grundlage für solche absurd erscheinenden neuen Wahrheiten sind Theorien wie die der amerikanischen Soziologin Robin DiAngelo, die in ihrem Buch „White Fragility“ allen Weißen eine generelle Unfähigkeit 

bescheinigt, Rassismus überhaupt zu erkennen. Ihr deutsches Pendant ist die Journalistin Alice Hasters, die sich sicher ist, die abwertende Behandlung von Menschen mit einer dunklen Hautfarbe beginne bereits mit Fragen wie „Woher kommst du?“ oder „Darf ich deine Haare anfassen?“ So abwegig das erscheinen mag – die Ideen stoßen auf Resonanz. Die Bundeszentrale für politische Bildung rät der weißen Mehrheitsbevölkerung in Deutschland etwa, „ihre Stellung in der Gesellschaft kritisch in Frage zu stellen“, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet Hasters bereitwillig eine Bühne.   

Das Resultat bedeutet eine „gleichgeschaltete Opferkultur“

Anhänger woker Überzeugungen reklamieren gemäß Basad bereits erfolgreich eine gewisse Deutungshoheit für sich. Wer widerspricht, gerät unter Beschuß der lautstarken Gemeinschaft, die im Sinne der „Cancel Culture“ nicht davor zurückschreckt, Kritiker sozial zu ächten. Es wird ein klares Täter-Opfer-Schema inszeniert, bei dem gilt: Je schwärzer ein Mensch, desto mehr unterdrückt ihn die weiße Zivilisation. 

Doch die „Social Justice Warriors“ (Kämpfer für soziale Gerechtigkeit) möchten diesem angeblichen Status quo kein Ende setzen, sondern Sonderrechte für alle vermeintlich Geknechteten ableiten. Für die vermeintliche Tätergruppe bedeutet das: Je weißer die eigene Haut ist, desto mehr muß Zurückhaltung geübt werden. Das hilft letztlich aber wenig, denn egal wie sehr sich Weiße bemühen, den neuen Benimmregeln Folge zu leisten – ihr Verhalten wird ihnen am Ende immer als rassistisch ausgelegt. Laut Basad hat das auch seinen Grund: „Es soll im Ergebnis dieser Machtausübung eine neue Realität geschaffen werden, in der die Regeln, Gesetze und Hierarchien gelten, die man sich selbst ausgedacht hat.“ Um diese Machtpyramide in Gang zu halten, sollen auch die angeblich Unterdrückten selbst kleingehalten werden und möglichst nicht aus der ihnen aufgedrückten Opferrolle ausbrechen. Die Folge sei eine „gleichgeschaltete Opferkultur“. 

Die von Basad so bezeichneten „Ideologen“ richteten sich jedoch nicht nur gegen einen vermeintlichen Rassismus in der Gesellschaft, sondern auch gegen andere Spielarten angeblicher Unterdrückung. Eine solche würden eben Genannte auch im generischen Maskulinum sehen, das sie mit Gendersternchen und Co. zu bezwingen versuchten. Dabei sei es ihnen ganz gleich, daß 75 Prozent der Deutschen entsprechende Sprachvorschriften ablehnen, verdeutlicht die Autorin. Gender-Sprech habe „nichts mit natürlichem Sprachwandel zu tun“. Es handle sich dabei „nicht um harmlose Ausdrücke, die neu auftreten, sondern um eine politische Agenda“, die aus einem „Trend der Intellektuellen“ hervorgehe. 

Verbreitung fänden solche Entwicklungen über die Medien, denn Journalisten würden nur allzu häufig die Rolle des Frontkämpfers einnehmen und versuchen, ihr Publikum moralisch umzuerziehen. Damit spalteten sie die Gesellschaft. Die Autorin wagt zwar einen Rundumschlag gegen alles, das als unanfechtbare Wahrheit etabliert werden soll, ganz ohne das ritualisierte AfD-Bashing kommt sie dann aber doch nicht aus. 

Die Partei sei „ein übler Verein“, dessen „völkisches Weltbild“ in einem demokratischen Staat nichts verloren habe. Doch Hand aufs Herz: die AfD kritisiert genau dieselben Mißstände wie Basad, auch die Begründungen liegen nah beieinander. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – verspürt die Autorin wohl das Bedürfnis, sich ganz klar abzugrenzen – und bestimmt damit nicht anders als die von ihr angeprangerten „Ideologen“ darüber, welche Kritik gut und legitim und welche böse und illegitim ist. Die junge Frau, die wohl am ehesten als Liberale beschrieben werden kann, wird von Anhängern der identitätspolitischen Linken oft fälschlicherweise als „rechtskonservativ“ bezeichnet. 

Das zeigt einmal mehr, daß es in der woken Ideologie keine reflektierte Einordnung gegnerischer Positionen gibt, sondern nur die Maxime „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Auf wen das zutrifft, ist nach entsprechender Logik „rechts“. Egal wie sehr sich die Autorin also von solchen Positionen abgrenzt, wie sie selbst in ihrer Analyse festgestellt hat, wird jedem, der sich der woken Doktrin widersetzt, fortan statt einem Opfer- ein Täterstatus zugeschrieben werden.

Judith Sevinç Basad:  Schäm dich. Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2021, broschiert, 224 Seiten, 18 Euro