© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Boxen wird zum Zirkus
Mayweather vs. Paul: Social-Media-Stars mischen die Kampfsportbranche auf
Gil Barkei

Markige Worte und vollmundige Ankündigungen in Richtung des Gegners, TV-Auftritte, inszenierte Selbstdarstellung: die Show gehört seit jeher zum Boxen. Doch was mit dem Kampf Floyd Mayweather gegen den Youtube-Star Logan Paul vergangenen Sonntag seinen vorläufigen Höhepunkt feierte, empfinden viele Kampfsportbegeisterte wie zum Beispiel der Sportjournalist Adam Catterall als „Zirkus“, der den verschiedenen  Disziplinen mehr schadet als sie fördert.

Paul, der auf Youtube 23,1 Millionen Abonnenten und bei Instagram 19,6 Millionen Follower vorweisen kann und mit „Impulsive“ einen der weltweit beliebtesten Video-Podcasts betreibt, ist zwar 15 Zentimeter größer und 18 Kilogramm schwerer, aber boxerisch um Klassen schlechter als sein erfahrener Kontrahent, der bei den Olympischen Spielen 1996 antrat und während seiner Karriere WM-Titel in fünf unterschiedlichen Gewichtsklassen gewonnen hat. Zudem stand Paul zuvor erst ein einziges Mal im Ring – gegen den britischen Youtuber KSI – und verlor.

Der 44jährige Mayweather, der bei seinem Rückzug aus dem Profiboxen die Weltmeistergürtel im Weltergewicht der drei wichtigsten Verbände WBC, IBF und WBA innehatte, und der 26 Jahre alte Social-Media-Influencer gingen trotzdem über die vollen veranschlagten acht Runden. Obwohl alle Statistiken für Mayweather sprechen, gibt es keinen Sieger, denn das ungleiche Duell wird offiziell nicht als Kampf, sondern lediglich als sogenannter „Exhibition Fight“ gewertet, bei dem es keine Punktrichter gab. Selbst wenn Mayweather, der vielen Experten als bester noch lebender Boxer der Welt gilt, wider alle Erwartungen durch einen erlaubten Knockout verloren hätte, bliebe seine makellose Bilanz von 50 Siegen zu 0 Niederlagen also unbefleckt. 

Das Aufeinandertreffen in Miami stand daher von vornherein im Verruf, den beiden Protagonisten ginge es jenseits sportlicher Meßlatten lediglich ums Geld und die Werbung für die eigenen Firmen – Paul betreibt das Klamottenlabel Maverick und Mayweather gehört neben einer eigenen Box-Promotion die Modemarke TMT. Letzterer trägt nicht umsonst den Spitznamen „Money“ und galt während seiner aktiven Zeit als bestbezahlter Sportler der Welt. Doch der Afroamerikaner lebt auf großem Fuß, protzt gern mit Luxusautos, Privatjets und Diamantenschmuck.

So feierte er bereits 2017 ein kurzes Comeback und boxte siegreich gegen den eigentlich vom MMA kommenden irischen UFC-Star Conor McGregor. Schon damals sorgte der groß angekündigte „Jahrhundertkampf“ für Häme. Eine „zweitklassige Travestieshow“ zum „Vergessen“, schrieb etwa die Welt. Der einträgliche Marketingcoup, der Mayweather 275 Millionen Dollar und McGregor 85 Millionen Dollar einbrachte, gibt Aufschluß darüber, warum Mayweather nun wieder die Boxhandschuhe schnürte: Sein beachtliches Vermögen ist größtenteils in Immobilen und Sachwerte gebunden, „Kleingeld“ für den Alltag muß her.

Und so hat Mayweather für die Zukunft weitere „Exhibitions“ angekündigt. Athleten aus anderen Kampfkünsten, altgediente Boxer und sportliche Internetsternchen springen auf den Trend auf und sehen ihre Chance, einen Teil von den großen Schecks abzubekommen. So boxte Legende „Iron Mike“ Tyson vergangenen November mit 54 gegen den ehemaligen Weltmeister Roy Jones. Und Logan Pauls jüngerer Bruder Jake – ebenfalls ein Youtube-Emporkömmling (20,4 Mio. Abonnenten) und Hobby-Boxer – lockte provokationsreich den eigentlich zurückgetretenen Olympia-Wrestler und MMA-Kämpfer Ben Askren Mitte April in den Ring. Anfangs von vielen Kampfsportlern als freches Kind belächelt, dem man das Maul stopfen sollte, schlug Jake Paul den box-unerfahrenen und aus der Form gekommenen Askren überraschend in der ersten Runde k.o. und befeuerte den Hype um skurrile Paarungen mit hohen Börsen. 

Diskussion um die Bezahlung von MMA-Kämpfern

Ende August tritt nun der frühere UFC-Champion Tyron Woodley gegen den jüngeren Paul-Bruder an. Wie Askren ist allerdings auch Woodley von Haus aus eigentlich Ringer und kein Boxer. Stimmen, die auf ein Ende der Farce nach Mayweather vs. Paul gehofft hatten, werden damit enttäuscht. Zu verlockend erscheinen die Beteiligungen an den Pay-per-View-Verkäufen im Netz, welche die Kampfsport-Rente aufbessern. „Die UFC-Fighter werden nicht fair bezahlt“, betont der erst 24jährige Jake Paul und macht aus seinem Sinn fürs Geschäft eine rebellische „Bewegung für eine bessere Bezahlung“ für MMA-Kämpfer, die im Käfig zwar „ihr Leben riskieren“, aber mit nicht mal jeweils zehn Millionen Dollar bei Top-Paarungen weit entfernt seien vom Level ähnlich bekannter Boxer. Dana White „nimmt ihnen ihr Geld weg“, stichelt er gegen den omnipräsenten Chef der UFC.

Was jedoch dabei auf der Strecke bleibt, ist der Boxsport. Nicht mehr die Männer mit den besten Fähigkeiten stehen sich gegenüber, sondern die semi-professionellen Athleten mit den größten Reichweiten in den sozialen Netzwerken. Einstige Top-Kämpfer stellen lediglich ihre guten Namen zur Verfügung und bedienen die Hoffnung vieler Zuschauer, der arrogante im Youtube-Geld badende Fake-Fighter bekomme endlich ordentlich Schläge verpaßt. Was zählt, ist nicht einmal mehr die Größe der Fanlager, sondern die Anzahl der zahlungswilligen Internet-Hater.