© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Der Flaneur
Fundstücke in der Straße
Elke Lau

Entsorgte oder verlorene Gegenstände auf Gehwegen und Rasenflächen gehörten schon immer zum Straßenbild. Während vor vielen Jahren leere Zigarettenschachteln gefolgt von Papiertaschentüchern die Liste anführten – in  Großstädten gern auch mal das eine oder andere größere aussortierte Küchengerät – , träumen jetzt Tausende Masken, fast werbewirksam plaziert, wohin das Auge blickt.

Aufgrund löchriger Straßenbeläge habe ich ein wachsames Auge entwickelt und entdecke – als Nebeneffekt – oft kuriose Dinge. Innenleben von Überraschungseiern, überwiegend Märchenfiguren, zieren inzwischen unseren Setzkasten. Vor Corona hob ich einmal eine Schülerjahreskarte für den Linienbus auf und wartete brav an einer Haltestelle, um sie beim Fahrer abzugeben.

Auf dem Rückweg hängt im Park zwischen zwei Bäumen eine Leine, gespickt mit Parolen.

Aber meist bücke ich mich nach blinkenden Centstücken und Chips für Einkaufswagen. Heute findet eines meiner Fundstücke eine neue überglückliche Besitzerin. Im Supermarkt bittet eine alte Dame die Kassiererin höflich, einen Zehn-Euro-Schein zu wechseln, damit sie sich einen Wagen ziehen kann. Die Angestellte lehnt kurz angebunden ab. Ich krame den roten Chip aus der Tasche und stecke ihn der Kundin zu. Ihre Dankbarkeit ist rührend.

Am nächsten Tag suche ich den Supermarkt erneut auf. Während ich an der Kasse bei der stets übelgelaunten Angestellten von gestern warte, blafft sie die Kollegin an der Nebenkasse an: „Du wechselst ihm nicht den Schein, er soll sich gefälligst woanders Kleingeld besorgen.“

Der Mann verliert die Contenance. „Was soll ich denn ohne Wagen machen, du Wetterhexe? In diesem Ton kannst du mit deinem Ehemann reden, aber nicht mit einem Kunden“, motzt er und zieht wütend ab.

Auf dem Rückweg laufen wir durch eine Parkanlage. Zwischen zwei Bäumen hängt eine Leine, gespickt mit gewaltverherrlichenden Parolen. Sehr zu meiner Erleichterung. So habe ich keine Skrupel, die nagelneuen kuriosen Wäscheklammern einzustecken und die handgeschriebenen Zettel im Abfallkorb zu entsorgen. Ist das eigentlich Diebstahl?