© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Zum Geleit
Präzision und Tiefenschärfe
Thorsten Hinz

Allein die Tatsache, daß diese Zeitung mit sparsamen Mitteln, gegen langjährige Widerstände perfidester Art und überhaupt gegen alle Wahrscheinlichkeit sich behauptet hat und nun in das 36. Jahr ihres Bestehens geht, könnte für die Beteiligten schon ein Grund sein, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und als Unikate der jüngeren Mediengeschichte zu bestaunen. Doch die Zeiten gestatten keine Triumphgefühle, denn vor unseren Augen vollziehen sich Veränderungen, die allem zuwiderlaufen, was diese Zeitung angestrebt hat und anstrebt. Und zum Selbstverständnis der JUNGEN FREIHEIT gehört es, die äußeren Umstände und Entwicklungen genauso nüchtern einzuschätzen wie die Grenzen der eigenen Bedeutung und Möglichkeiten.

Wir sind heute mit einer radikalen Politik konfrontiert, die die Axt an die Wurzel unserer Lebenswelt legt. Sinn und Zweck der Zeitung ist es, den Vorgang mit radikaler Präzision und Tiefenschärfe zu beschreiben und sichtbar zu machen. Ein so verstandenes schonungsloses Erkenntnisinteresse entlädt sich nicht in Verbalexzessen, die Ausdruck von Hilflosigkeit und Erbitterung und eine verzerrte Kopie der Zustände sind, an denen sie sich entzünden.

Die Meinungsfreiheit radikal ernst zu nehmen heißt Risiken einzugehen. So erklärte die Kanzlerin 2019 im Bundestag in gewohnt holpriger Syntax: „All die, die dauernd behaupten, sie dürften nicht mehr ihre Meinung sagen, denen muß ich einfach sagen: Wer seine Meinung sagt (...), der muß damit leben, daß es Widerspruch gibt. Es gibt keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif, daß alle zustimmen.“

Nun ist der „Widerspruch“ von Kanzlerin ­Merkel, von der ZDF-Frontfrau ­Marietta ­Slomka oder vom Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ­Thomas ­Haldenwang, wahrlich nichts, was auf der intellektuellen Ebene zu fürchten wäre. Zu fürchten ist aber die materielle Sanktionsmacht, die dahintersteht und deren Folgen auch diese Zeitung schmerzhaft erlebt hat. Das Prinzip ist so simpel wie brutal: Statt auf das Problem einzugehen, das der Andersdenkende thematisiert, wird seine gesellschaftliche, soziale und psychische Existenz zum Kriegsschauplatz erklärt und gedroht, sie in ein rauchendes Trümmerfeld zu verwandeln.

„Wir sind heute mit einer radikalen Politik konfrontiert, die die Axt an die Wurzel unserer Lebenswelt legt.“

Der Philosoph ­Jürgen ­Habermas, Künder vom „herrschaftsfreien Diskurs“ und vom „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“, nennt dieses Verfahren „Dethematisierung“. Systemkritiker solle man „kurz und trocken als das abtun, was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus“. Eine inzwischen milliardenschwer ausgestattete Heerschar aus halbgebildeten Politologen, Soziologen, Extremismusexperten, Konflikt- und Genderforschern setzt das in die Tat um. Freilich nicht kurz und trocken, sondern tagtäglich und mit Schaum vor dem Mund. Den Rest übernehmen die Aktivisten, deren Reflexionsvermögen sich in dem Satz erschöpft: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ So schließt sich der Kreis zwischen Elite und Mob.

Dabei möchte man ­Habermas sogar zustimmen, wenn er im selben Kontext als die Grundfrage unserer Zeit postuliert: „Wie erlangen wir gegenüber den zerstörerischen Kräften einer entfesselten kapitalistischen Globalisierung wieder die politische Handlungsmacht zurück?“ Doch die Medizin, die er anpreist: mehr Universalismus und mehr Kompetenzen für supranationale Organisationen, verleiht den Globalisten eine noch größere Handlungsmacht. Diesem unaufgelösten Widerspruch entspringt ein zombiehaftes falsches Bewußtsein, das als Antifaschismus die Gesellschaft und insbesondere die Medien beherrscht.

Eine kleine Zeitung steht täglich vor der Frage, wie weit sie sich auf das Zombie-Spiel einlassen soll in der Hoffnung, die Spielregeln auf längere Sicht abändern zu können. Oder ob sie seine systemische Verrücktheit von außen in den Blick nimmt und konsequent als solche benennt. Die alternative Medienszene hat sich in den letzten Jahren erweitert, ausdifferenziert, professionalisiert. Um so mehr wird die JUNGE FREIHEIT im nächsten Jahrfünft daran arbeiten, sich in einem veränderten Umfeld mit klar erkennbaren Alleinstellungsmerkmalen zu positionieren.






Thorsten Hinz, Jahrgang 1962, aufgewachsen in einer Kleinstadt an der Ostsee im Landkreis Vorpommern-Rügen, studierte Germanistik in Leipzig und arbeitete in den neunziger Jahren erst als Politik-, dann als Kulturredakteur der Jungen Freiheit. Seither ist er als freier Autor tätig. Er hat in der JF-Edition mehrere geschichtspolitische Bücher veröffentlicht, zuletzt 2016 „Weltflucht und Massenwahn. Deutschland in Zeiten der Völkerwanderung“.