© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Abonnenten der Anfangsjahre
„Wir sind doch eine Familie“
Martina Meckelein

Jahrzehntelange Treue zu einem Medium ist in der heutigen Zeit außergewöhnlich. Und sie läßt Fragen aufkommen. Zum Beispiel diese: Erinnern Sie sich noch an ihre erste Begegnung mit der JUNGEN FREIHEIT? Vier langjährige Abonnenten nahmen sich Zeit. Es sind spannende Antworten, die uns auf eine politische Zeitreise mitnehmen. Viel Spaß!





Raimo Benger (56), Jurist, Besitzer aller Ausgaben

Bei Familie Benger in Meinerzhagen hängt manchmal der Haussegen schief. Als einen „ernsten Disput“ bezeichnet ­Raimo ­Benger die Anmahnungen seiner Frau. Der Grund: Der Jurist hat alle JF-Ausgaben seit der Ersterscheinung gesammelt. „Wissen Sie, ich gebe ja zu, es ist eine fixe Idee von mir, jede Ausgabe von vorne bis hinten zu lesen und sie dann komplett alle zu archivieren, aber ich bin halt so.“

Benger begann 1984 Rechtswissenschaften in Gießen zu studieren. „Damals gab es die Zeitschrift Criticón, ältere JF-Leser erinnern sich vielleicht“, sagt Benger. „Der Herausgeber war ­Caspar von Schrenck-­Notzing aus München. Die Zeitschrift hatte einen Leserkreis, der sich in München traf und Vorträge hörte. Auf einer Demonstration gegen den Mauerbau war es, glaube ich, da begegnete ich einigen von ihnen, sie luden mich nach München ein, um mir einmal alles anzuschauen und dann vielleicht auch in ­Gießen solch einen Leser- beziehungsweise Arbeitskreis zu gründen.“ Benger machte sich auf die Reise. „Und dann bat mich Schrenck-­Notzing in sein Büro. Zwei Stunden stand ich ihm Rede und Antwort. Zum Beispiel wollte er wissen, welche Autoren ich gelesen hätte.“ Benger bestand offenbar die Aufnahmeprüfung, „Sie haben was drauf“, sagte er zu Benger, der damit das Einverständnis bekommen hatte, in Gießen einen Criticón-Lesekreis zu gründen. Benger organisierte Lesezirkel, besorgte Politiker wie Heinrich ­Lummer und Autoren wie ­Helmut ­Matthies. „Und auf einem dieser Treffen brachte ein Gast die erste Ausgabe der Jungen Freiheit mit und zeigte sie mir. Ich war begeistert und rief noch am selben Tag Dieter ­Stein an. Schnell habe ich dann selbst als Autor für die Zeitung gearbeitet.“ Benger interviewte ­den legendären Berliner Ex-Innensenator ­Lummer (CDU) für die Zeitung. „Der blieb der JF bis zu seinem Tod verbunden.“

Im Online-Archiv sind außer einem Nachruf auf einen konservativen Unternehmer leider keine Artikel von ihm zu finden. „Na, die sind alle in den ersten Jahren erschienen und werden wohl nicht digitalisiert sein.“ An der Jungen Freiheit schätzt er bis heute die „Unterscheidung zwischen Berichterstattung, pointiertem Kommentar und Erläuterung“. Das sei guter Journalismus, den er vor Jahren so bei der FAZ erlebte, aber heute vermisse. „Was mir ausgesprochen gut gefällt, ist der Wirtschaftsteil der JF und da die finanzpolitischen Artikel von Professor Dirk ­Meyer und natürlich die Texte von Thorsten ­Hinz, er schreibt einfach wunderbar.“ Ändern würde ­Benger an der Zeitung nichts, allerdings: „Ich wünschte mir ein breiteres politisches Spektrum, Berichte und auch Interviews von der SPD bis hin zu konservativen Parteien wie der AfD. Und ich wünschte mir, daß die Leser das dann auch aushalten und sich damit beschäftigen.“

Bleibt noch eine Frage: Welchen Tip hat der Jurist ­Benger, wieder Harmonie ins Haus ­Benger einziehen zu lassen? „Wenn meine Frau sehr schimpft, koche ich ihr etwas Schönes. Ich gebe allerdings zu, daß die JF-Stapel umgezogen sind. Raus aus der Bibliothek und herauf auf den Dachboden.“





Dr. Karl-Heinz Pröhuber (73), Verleger, Abo seit dem 12. Februar 1987

„Ich studierte 1974 in Aachen an der RWTH Politische Wissenschaften, war gut vernetzt bei den Linken. Sie müssen sich in diese Zeit versetzen. An den Universitäten herrschte weitaus mehr Freiheit als heute, dafür war es sehr politisch. Wir gingen sogar während des Semesters auf Reisen. Ich machte mehrfach Reisen nach Irland, um mir die Arbeit von Sinn Féin vor Ort anzuschauen – es war ernüchternd.

Wir lasen alles an Zeitungen, was wir in die Finger bekommen konnten, es gab ja kein Internet, wir waren auf Printmedien angewiesen. Damals gab es weniges, was abseits der großen Zeitungen auf dem Markt war. So zum Beispiel das Junge Forum, die Neue Zeit oder die Publikationen der Solidarischen Volksbewegung. Ich erinnere mich noch gut an die erste Ausgabe der Jungen Freiheit, die ich durch Zufall in den Händen hielt. Es war ein Freiexemplar in DIN-A5-Format. Das Heft war geklammert. Rückblickend stelle ich mir vor, daß Herr ­Stein es wohl zu Hause am Küchentisch zusammengetackert haben muß.

Auf mich machte die JF jedenfalls einen undogmatischen und erfrischenden Eindruck. Irgendwann nahm das Blatt andere Formen an, wurde qualitativ besser und informativer. Es kam monatlich heraus. Und da sagte ich mir, die paar Mark und 50 Pfennig kannst du auch für das Abo zahlen. Und so blieb ich all die Jahre dem Blatt treu. In meinem unpolitischen, meist grünwählenden Bekanntenkreis thematisieren wir die JUNGE FREIHEIT nicht. Vielleicht wissen viele gar nicht, daß ich sie schon seit 34 Jahren lese.

Gerade sprach ich mit einem Bekannten aus Belgien. Immer wenn er in Aachen am Bahnhof ankommt, kauft er am Kiosk die Junge Freiheit. Er bemängelt den hohen Anteil an akademischen Diskussionen über literarische Themen. Und da muß ich ihm recht geben. Der Sprachstil ist für nicht akademisch geschulte Leser teilweise unverständlich. Ich verweise hier mal auf Max Otte. Der versteht es, komplexe ökonomische Sachverhalte in einfachen Worten verständlich darzustellen. Das würde ich mir eben auch bei der Jungen Freiheit wünschen. 

Ich lese selektiv, das gebe ich zu. Ich bin Militärhistoriker, und deshalb ist das erste, was ich aufschlage der Geschichtsteil. Meine Lieblingsseiten sind die historischen Abhandlungen. Gerade Herrn ­Schmidt mag ich sehr. Seine Darstellungen militärischer Abläufe halte ich für sehr fundiert. Und dann kommt bei mir gleich danach die Leserbriefseite. Denn da findet ja die wahre Diskussion statt – in Print wie auch online. Ich verfolge online Die Welt, achgut, Tichy, die NZZ, Vera Lengsfeld, eike etc. im Netz, und da lese ich zu gerne die Kommentare unter den Artikeln, sie sind oftmals sehr informativ. Und ich muß sagen, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, die Kulturredaktion sollte eine Seite abgeben, und zwar für die Wirtschaftsredaktion. Da wünschte ich mir noch mehr ökonomische Fragestellungen. Zum Beispiel aktuell die Unterbrechung der Lieferketten. 

Einen JF-Artikel werde ich nie vergessen, er ist schon einige Jahre her. Und zwar über den französischen Philosophen André Glucksmann zur Geschichte der russischen Revolution mit dem Titel „Köchin und Menschenfresser. Dieser Titel hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Aber ich habe ihn nicht mehr. Auch wenn die Junge Freiheit gelesen ist, wird sie entsorgt. Es stapelt sich doch sonst alles.

Ich hoffe, die Junge Freiheit bleibt weiter solch ein kritisches Organ, das konservative Bewegungen, alte wie neue, begleitet.“





Hermann Thumm (81) aus Herrenberg war Motoren-Konstrukteur, Abo seit 8. Januar 1988

„Also, wann genau ich die Junge Freiheit das erste Mal in den Händen hielt, erinnere ich nicht mehr so genau. Aber ich weiß, daß sie ein gefaltetes DIN A4-Blatt war und aus Freiburg kam. Für mich ist sie bis heute ein geistiger Multivitamin-Saft im Vergleich zur Mainstream-Presse, da bekomme ich beim Lesen geistigen Skorbut. Die JF greift eben Themen auf, die in der Presse untergehen oder bagatellisiert werden.

Immer wieder versuche ich Bekannte zu animieren, die Zeitung zu abonnieren. Die lesen zwar mein Exemplar, sind auch sehr angetan, aber dann sagen sie, daß sie ihre geistige Ruhe haben wollen. Im Grunde trägt da die Taktik der Politik ihre Früchte. Die Menschen ermüden und verlieren die Kraft zu denken und zu kämpfen. Dabei wollten wir doch früher  – und eben auch heute – etwas verändern.

Täglich sitze ich mit einem Bleistift da, lese die Zeitung und auch Tageszeitungen und streiche wichtige Stellen an. Zur Zeit, also seit einem Jahr, sammle ich alles zu Corona. Meine Frau kriegt schon die Krise, weil sich bei uns die Artikel stapeln – und der Platz ist ja beschränkt.

Für mich ist die Junge Freiheit einfach ideal. Da wäre das große Spektrum an Geschichte, dann die Interviews auf der Seite drei. Auch wenn da Menschen von der anderen Fakultät manchmal zu Wort kommen, aber spannend sind sie fast immer.

Nur einmal, das gebe ich zu, war ich kurz verärgert über die JF. Und zwar als sie in einem anderen Format erschien. Sie ist für mich unhandlicher geworden. Nun gut, die Hauptsache ist doch, der Inhalt stimmt, oder?“





Ulrich Deuschle (69), Volkswirt aus Notzingen, Abo seit 1. März 1988

„Ich bin 1952 geboren, studierte VWL, Geschichte, Politikwissenschaften und Jura. 1978 machte ich in Tübingen meinen Abschluß als Diplom-Volkswirt, und erst Mitte der achtziger Jahre habe ich mich politisiert. Damals bin ich zu den Republikanern gestoßen. Und in den Kreisen sprach man über dieses neue Blatt aus Freiburg und daß man es unterstützen müßte, sozusagen mit einem Abo pflegen, wie ein kleines Pflänzchen. Ich erinnere mich, wie ich das Blatt aus Freiburg, eben die Junge Freiheit, zum ersten Mal in der Hand hielt – in DIN A5. Man wußte ja nicht, wird es was mit der Zeitung, hält sie durch? 1989 kam ich dann in den Kreistag nach Esslingen und 1992 in den Landtag nach Stuttgart, da habe ich natürlich auch für die Zeitung im Umfeld geworben.

Was mir immer an ihr gefiel, von Anfang an, war diese andere Sicht auf Dinge und daß sie andere Meinungen zuließ. Sie ist eben anders als die anderen Zeitungen, die sich eben immer mehr annähern. Ich fand es erfrischend, wie die Junge Freiheit Themen aufgriff. Die Diskussion über die D-Mark contra den Euro besprach sie eben nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern nannte auch politische Auswirkungen. Das war eben der Preis für die Wiedervereinigung, so wurde gesagt. Dann kam das Leitkulturthema hoch. Das haben nicht alle Medien sehen und anpacken wollen – die JF tat es. Dann kam die erste Zuwanderungswelle aus Jugoslawien. Damals gab es noch kein Internet, man mußte einfach viele Zeitungen lesen. 

Wenn die Junge Freiheit bei mir zu Hause ankommt, lese ich erst einmal die erste Seite, dann natürlich die Seite drei, dann die Geschichtsseiten und anschließend das Forum. Chapeau, toll was sie da teilweise für Lehrstuhlinhaber gewinnen. Schön wäre es, wenn sie mal für das Interview einen interessanten Grünen bekämen. Ich weiß, das ist nicht so einfach. Aber auch wir Konservativen müssen aus unserer rechten Blase raus. Rechte Parteien sollten sich auch endlich als Arbeiterparteien begreifen. Deshalb halte ich die Diskussion in der Jungen Freiheit über die Soziale Frage für nicht angemessen, da sollte mehr kommen. Was Frau Wagenknecht sagt, sollte auch thematisiert werden. Menschen sollten stärker in ihren persönlichen Lebensverhältnissen abgebildet werden. Wie geht es dem Einzelhändler? Was bedeutet es für Menschen in einem kleinen Dorf, wenn sie Pacht und Kredite nicht mehr finanzieren können? Und ich wünsche mir mehr Service, zum Beispiel über Vermögensbildung. Außerdem mehr Naturschutzthemen, das ist doch im Kern konservativ. Und mehr junge Menschen im Interview.

Ich bin froh, daß es die JF gibt. Ich hoffe, daß sie erfolgreich bleibt. Es war schon ein harter Weg für die Zeitung, alle Mitarbeiter und natürlich ihren Chef, ­Dieter ­Stein. Das zeigt die Qualität einer Zeitung, ihren Kampfgeist. Dieser Kampf, der schweißt über Jahre eben auch Zeitung und Leser zusammen. Man gehört dann als langjähriger Leser zur Jungen Freiheit einfach dazu. Ich will hier nicht übertreiben, aber irgendwie sind wir doch eine Familie.“