© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Kleines Glossar
Ausgewählte Begriffe, die man kennen muß, um in der JF-Redaktion mitreden zu können

Altpapier: Neckische redaktionsinterne Bezeichnung des dritten und vierten → Buches der JF (Kultur und Wissen). In der Regel von den betreffenden Ressortleitern selbst verwendet mit dem Vorwurf, niemand läse ihre Seiten, obwohl hier doch → Lesestücke stünden, in denen auf der → Metaebene die → großen Linien ausgezogen würden.

Attacke: Regelmäßiger Ruf in der Redaktionssitzung nach „mehr Attacke“, also angriffslustigeren Texten, die markieren, wo das „JFige“ an der Zeitung ist.

Auge, im … behalten: Wenn ein Redakteur ein exotisches Thema vorschlägt, das nicht spontane Begeisterung auslöst, wird ihm von der Redaktionsleitung empfohlen, das Ganze weiter im Auge zu behalten. Nette diplomatische Formel dafür, daß der Vorschlag eigentlich durchgefallen ist.

Bäckerblume: „Das stand schon in der Bäckerblume“: Hinweis des Chefs vom Dienst, wenn ein vorgeschlagenes Thema bereits von allen anderen Zeitungen „durchgenudelt“ worden ist.

Crossmedial: Seit der Jahrtausendwende und dem Vormarsch des Internet führen Redaktionsleiter aller Zeitungen die Forderung im Munde, alle Redakteure sollten „crossmedial“ arbeiten, also sowohl „print“ als auch „online“ präsent sein.

Durchkomponiert: Falls wieder einmal aus Planlosigkeit ein Thema in einer Ausgabe in zwei verschiedenen Ressorts vergeben wurde und sich die Beiträge eigentlich doppeln, dann wird, um nicht Autoren zu „vergrätzen“, die Parole ausgegeben, die ganze Ausgabe sei damit „durchkomponiert“.

Ersatzbank: Ist die Redaktion unentschlossen, werden überschüssige Themenvorschläge „auf die Ersatzbank“ gesetzt, um auf sie bei der folgenden Sitzung zurückzukommen – es sei denn, zwischenzeitlich fällt auf → Zuruf doch noch ein Entschluß.

Feinschliff: Wenn ein Redakteur erklärt, es fehle an einem Text oder einer Seite „nur noch der Feinschliff“, dann ist Vorsicht geboten. Denn es kann sein, daß hier nur noch etwas → geradegezuppelt werden muß, in Wirklichkeit also noch die Hauptarbeit aussteht. 

Fast fertig: Eine von zahlreichen euphemistischen Umschreibungen für den Zustand von Beiträgen oder ganzen Zeitungsseiten. Tatsächlich stehen dem betreffenden Redakteur noch Stunden harter Arbeit bevor.

Fluß, im: Wenn ein Artikel nach Aussage eines Redakteurs „im Fluß ist“, soll dies im Zweifel zart andeuten, daß der Autor noch ganz am Anfang steht.

Freie Spitzen: „Hast wohl freie Spitzen?“ ist eine vorwurfsvolle Frage, wenn jemand sich mit abseitigen Themen beschäftigt; kommt sehr selten vor und kann mit dem Hinweis auf ein → Phänomen gekontert werden.

Freiruf: Bei Redaktionsschluß gleichbedeutend mit Feierabend. Alle Daten für die Produktion der JF-Ausgabe sind bei der Druckerei angekommen.

Gedanklich, steht: Wird der Chefredakteur gefragt, ob er seinen Text für die Seite 1 schon geschrieben hat, erklärt er gelegentlich:„Steht gedanklich“. Mit anderen Worten: Es ist noch überhaupt nichts passiert.

Geradezuppeln: Einen eigentlich undruckbaren Text komplett überarbeiten. Kann sich nur noch um Stunden handeln.

Herzen, zu … gehend: Wenn die JF auch einmal etwas → Menschelndes ins Blatt hebt, dann soll dies bei den Lesern „zu Herzen gehen“.

HVA: Abkürzung für „Haus von außen“. Wird als denkbar langweiligste und einfallsloseste Form der Bebilderung gerne bemüht. Wenn Ressortleiter Bleiwüsten bevorzugen, greifen sie gerne auf HVA in „Briefmarkengröße“ zurück.

Ironie: Immer mal wieder gefordert, mehr im Blatt zu haben. Stereotyp gekontert, kein Autor könne das und überhaupt verstünde der Leser Ironie sowieso nie. Weshalb der Vorschlag dann gekippt wird.

Knörzen: Redaktionsinterner Ausdruck für Herumnörgeln. Auch „Geknörze“.

Kraftwerk im Keller: Bezeichnung für Texte, die ewig im → Stehsatz eines Redakteurs schlummern. Gerne werden sie als Füllfunk bei der → Mifri-Sitzung gemeldet, um sie dann immer weiter zu schieben.

Launig: Bevorzugt vom Chefredakteur aufgerufene Anforderung an Texte für vorgeschlagene exotische Themen, wenn diese besonders gut und unterhaltsam geschrieben sein sollen.

Läuft: Antwortet ein Redakteur auf die Frage nach dem Zustand seiner Seite „läuft“, heißt dies meistens, daß es nicht so gut läuft. → Mittags → Im Fluß → Geradezuppeln.

Lesestück: Manchmal literarisch angehauchter Aufsatz, gern im Kulturteil, mit allgemeinen kunstreichen, zeitenthobenen Betrachtungen. In der Regel jedoch schwerverdauliche Textmassen, die schon länger liegen, bei denen es dem Redakteur schwerfiel, dem Autor abzusagen

Linien, große … ausziehen: Gemeint ist damit, daß in feuilletonistischen Texten, also im Kulturteil oder auf dem Forum, wenig Aktuelles oder Konkretes vorkommen muß, sondern der Autor über den Dingen schwebend sich philosophisch über die Niederungen der Tagespolitik erhebend weit ausholen darf.

Magazinig: Wenn ein Thema in der Zeitung „magazinig“ aufbereitet werden soll, drohen in der Regel Texte, die „mal ganz anders und nicht wie gewohnt“ die → großen Linien ausziehen oder Inhalte auf der → Metaebene am besten →  launig als → Lesestück verhandeln sollen. Nur mit opulenter Bebilderung. Meist im Kulturteil.

Menschelnd: Hin und wieder kommt es vor (häufig vor Doppelausgaben und besonders Weihnachten), daß in der JF „Sozialreportagen“ erscheinen, in denen es dann zwingend „menscheln“ soll. Gemeint ist, daß nicht nur von Statistiken, Zahlen und Theorien die Rede sein soll, sondern auch vom Menschen als solchem und ausnahmsweise einmal von Gefühlen die Rede sein darf. → zu Herzen gehend

Metaebene: Diese Ehrfurcht heischende Vokabel erweckt die Erwartung, der Autor halte sich bei seiner in der Regel weit ausholenden, tiefgründigen Erörterung nicht mit dem Tagespolitischen auf, sondern ziehe, in Jahrhunderten denkend, aus der Adlerperspektive die → großen Linien aus. Im Idealfall aber großartiger Text einer Edelfeder!

Mifri: Abkürzung für Mittelfristige Planungskonferenz, die monatliche Sitzung, in der die Themenschwerpunkte der kommenden vier bis fünf Ausgaben besprochen werden.

Mittags, bis: Zeitangabe, bis wann ein Text von einem Autor geliefert wird. In der Regel bedeutet das: Der Text kommt spätabends oder wahrscheinlich erst am darauffolgenden Tag. Wenn überhaupt. → Läuft → Geradezuppeln → Feinschliff → im Fluß

Phänomen: Mit diesem Begriff garniert, bekommt man beim Chefredakteur (fast) jedes Thema durch. „Es geht doch um das Phänomen!“ Kann gelegentlich noch durch den Hinweis gesteigert werden, das Ganze auf der → Metaebene durch das Ausziehen der → großen Linien zu verhandeln.

Qualität: „Qualität kommt von quälen!“: Vom stellvertretenden Chefredakteur Thorsten Thaler gern zitierter Ausspruch Kai Diekmanns (Bild-Zeitung). Etymologisch natürlich völliger Unsinn! Trotzdem der Ansporn, ein noch besseres Blatt zu machen.

Rasch mal eben: Zeitaufwendige Zusatzaufgaben, die in letzter Minute noch „rasch mal eben“ von denjenigen zu erledigen sind, die noch → freie Spitzen haben.

Rollgriff: Ein von Walter Kempowski entlehnter Ausdruck für die entschädigungslose Enteignung des Süßigkeitenvorrats eines Redakteurs durch den Chef.

Schnitzel: Auch „Schnitzel-Thema“, bedeutet in der JF-Sprache: „Das wird unsere Leser besonders interessieren.“ Oder der heiße Stoff, mit dem → Attacke möglich ist.

Sofort – unverzüglich: Anspielung auf das Zitat aus der berühmten Maueröffner-Pressekonferenz Günter Schabowskis 1989; häufig zu hörende Antwort auf die Frage, wann denn nun etwas gemacht werden soll.

Spannend: Oft vom Chefredakteur erhobene vergiftete Anforderung an Texte über spontan in Redaktionssitzungen vorgeschlagene unkonventionelle, am besten → überraschende Themen. Ähnlich schwer zu erfüllen wie der Wunsch, → launig zu schreiben, weshalb sie dann zurückgestellt, also im Grunde beerdigt werden.

Standby, ins … setzen: Redaktionsinterne Formel dafür, wenn sich externe Autoren schon einmal seelisch darauf einstellen sollen, daß sie in dieser Woche dran sind, einen Aufmacher oder Meinungsbeitrag zu einem Thema zu schreiben, das vorläufig erst auf der → Ersatzbank sitzt oder weil eine Entscheidung noch nicht gefallen ist und erst auf den letzten Drücker → auf Zuruf beauftragt werden kann.

Stehsatz: Wird vom Chef vom Dienst turnusmäßig angemahnt, jeder Ressortleiter solle eine Menge davon vorrätig haben, um in Krankeitsfällen seine Seite trotzdem mit idealerweise bereits redigierten Texten füllen zu können. Nahe am → Kraftwerk im Keller.

Überraschendes: Ab und zu fordert ein Redakteur, die Zeitung solle auch mal mit etwas „Überraschendem“ aufwarten. Dem folgt meist eine halbstündige hitzige Diskussion, bei der dieser Vorschlag wieder zerredet wird, weil es an → spannend oder → launig schreibenden Autoren fehle.

Umfassend: Wenn die Forderung in der Redaktionssitzung erhoben wird, ein Thema müsse „umfassender“ dargestellt werden, ist das in der Regel eine verschlüsselte Botschaft, das Thema unauffällig zu beerdigen.

Weiterdrehe: Wurde ein Thema bereits behandelt und soll noch einmal nachgelegt werden, spricht man von der „Weiterdrehe“.

X-mal: Das „stand schon x-mal in der JF“: Häufig genutzte Formulierung beim (vergeblichen) Versuch, in der Redaktionskonferenz ein Thema aus dem Blatt zu drängen. Noch schlimmerer Vorwurf: Das stand schon in der → Bäckerblume.

Zuruf, auf: Entscheidungen oder Absprachen, die nicht während der Redaktionskonferenz, sondern zwischen Tür und Angel getroffen werden.