© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Wie der Medienwandel das große Printsaurier-Sterben einläutete
Die Onliner im Dachgeschoß
Lukas Steinwandter

An einem Mittwoch im Jahr 2036: Rotoren des Flugautos auf dem Dach des fünfstöckigen Redaktionsgebäudes stoppen abrupt. Der Mann mit dem Bart, der Glatze und der schwarzen Sonnenbrille grinst, als er aus dem purpurroten Fahrzeug mit dem leuchtenden Stern auf der Front steigt. „Läuft ganz gut, das Teil.“ Gut läuft auch die Karriere von Richard Schneider. Seit 2021 leitet er den Online-Auftritt der JUNGEN FREIHEIT. Eine der wenigen verbliebenen unabhängigen Publikationen, nachdem im Nachgang der Corona-Pandemie viele Medienhäuser unter den staatlichen Rettungsschirm geschlüpft waren. Anderen war das Gute-Klima-Gesetz der Grünen zum Verhängnis geworden, das ein Verbot von CO2-Emmissionen für private Betriebe festlegte. Die JF war damals aber noch klein genug, um beide Male unter dem Radar zu fliegen.

Heute plagen Schneider allerdings andere Sorgen als die staatlichen Gängelungen und die ihrer halbstaatlichen Helfershelfer. Denn es ist Mittwoch, und Mittwoch ist Tag der wöchentlichen Planungskonferenz für die gedruckte Zeitung. Die JF ist eines der wenigen Medien Europas, die sich noch den Anachronismus einer gedruckten Ausgabe leisten. Sehr zum Mißfallen Schneiders. „Einmal die Woche muß ich runter in den Keller zur Generation ‘ausgedrucktes Internet’ und mir anhören, was aus dem Internet sie nun wieder komprimiert auf das holzfreie Papier drucken wollen.“ Dabei, betont der 50jährige, mache das Medienunternehmen mit der Abteilung „Print“ nur Verluste.

Das war nicht immer so. Blickt man in eines der zahlreichen Bücher, die mittlerweile über die JF erschienen sind, kann man erahnen, wie drastisch sich die Medienbranche generell gewandelt hat. JF-Online startete 2007 mit zwei bis drei tagesaktuellen Meldungen pro Tag. 2009, damals verantwortete noch Schneiders Vorgänger Felix Krautkrämer die Internet­seite, wurde zwar das Layout auf einen zeitgemäßen Stand gebracht, inhaltlich tat sich jedoch nicht viel. Das blieb auch in den Folgejahren so. „Die Onliner haben uns eigentlich nur Kosten und Ärger gebracht“, sagt Thorsten Thaler, der bis zu seinem Renteneintritt stellvertretender Chefredakteur war. „Wir mußten die Onliner jahrelang querfinanzieren und außer regelmäßigen Schreiben von Anwälten der Amadeu-Antonio-Stiftung und Flüchtlingshilfsorganisationen, weil sie mal wieder angeblich nur etwas zu sehr zugespitzt formuliert hatten, erhielten wir durch sie nichts.“

Alles übertrieben, meint Schneider, während er mit seinen beiden großgewachsenen Assistentinnen zum Aufzug stapft. Die Planungssitzung lief keine Viertelstunde. „Die haben eh immer nur die gleichen Themen, die gleichen Autoren, die gleichen Ideen.“ Während er spricht, prüft der mittlerweile in Berlin heimisch gewordene Schwabe auf dem Hologrammbildschirm, den seine Uhr in den marmorierten Flur projiziert, die JF-Startseite. „Mal schauen, ob die Redakteure was geschafft haben, oder wieder nur ihre Aktiendepots und Fußballwetten checken.“

2021, als die JF ihr 35jähriges Bestehen feierte, bestand die Online-Redaktion aus weniger als einem halben Dutzend Redakteuren. Heute sind es rund 100. Damals erschienen zwei Handvoll Meldungen und Kommentare jeden Tag. Heute bekommt der Leser inklusive des Materials der hauseigenen Agentur mehr als 150 Beiträge und Videos serviert. Die Leserzahl stieg entsprechend von 250.000 auf mehrere Millionen pro Tag. „Wenn es die Nachrichtenlage hergibt, haben wir schon mal Leser in zweistelliger Millionenhöhe.“

Größere Leserzahl bedeutet größere Verantwortung. Denkt Schneider heute ans Jahr 2021 zurück, muß er sich auf die Lippen beißen. Die JF war damals eines der Medien im noch kleinen konservativen Spektrum, für manche sogar das Medium. Videoreportagen von JF-TV erreichten mitunter Hunderttausende Zuschauer. Als Online-Chef hieß es da, flexibel und offen für Neues zu sein. Doch Schneiders Vorgänger Krautkrämer galt als konsequenter Hemmschuh, bremste hier und dort, sagte, dies und jenes ginge nicht. Es war Zeit für einen Wechsel. Mit Schneider zog frischer Wind ein. Er brachte neue PS auf die Straße. Für Bedenken hatte er keine Zeit. Schneider zeigte, was ging – wenn man nur wollte, machte Druck. Ein Redakteur, der schon damals unter ihm arbeitete und lieber anonym bleiben möchte, erzählt, einer von Schneiders Lieblingssprüchen sei gewesen: „Bring mir exklusive Geschichten, was JFiges – und es muß fetzen.“ Das habe dann Streß und Überstunden bedeutet. Einen Anruf hier, eine Anfrage da, Hintergrundgespräche, und gleichzeitig sollte der Artikel aber in einer Stunde auf seinem Schreibtisch landen. Während die Printler um Punkt 18 Uhr den Stift fallen ließen, begann für Online die zweite Schicht.

„Die bei Print haben das nie kapiert, wie Online funktioniert“, schildert ein anderer Mitarbeiter die Stimmung in der Gründerzeit der digitalen JF. „Während sie fast eine Woche Zeit hatten, ihre Zeitung zusammenzustöpseln, mußte bei uns alles tagesaktuell sein, im Wettlauf mit der Konkurrenz.“ Die Kraft hierfür habe ihnen der stetig wachsende Zuspruch und die Unterstützung der Leserschaft gegeben.

Und dann wäre da noch JF+ zu erwähnen, das Bezahlschrankenmodell, das 2020 installiert wurde. Heute fällt der Begriff kaum noch, wenn man durch die Redaktionsflure wandelt. Zu selbstverständlich scheint er zu sein. Doch damals bedeutete das für die JF, die sich immer noch zum Hauptteil über die Druckausgabe finanzierte, einen Quantensprung ins digitale Zeitalter. „Anfänglich haben einige der Printler zu bedenken gegeben, das würde sich doch eh alles nicht durchsetzen“, erinnert sich Schneider mit einem belustigten Kopfschütteln. „Die wenigen von denen, die heute noch bei uns sind, sitzen mittlerweile neben den Print-Sauriern – und pflegen das Archiv.“