© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/21 / 11. Juni 2021

Videokonferenzen in Corona-Zeiten
„Mikrofon aus!“
Felix Krautkrämer

Freitag, 10 Uhr. Nach und nach ploppen bei der Besprechungsplattform Teams die Bildchen der Kollegen auf. Jeder, ausgestattet mit einem Kopfhörer, guckt in die Kamera und wartet darauf, daß es losgeht. Ein Lächeln hier, ein Nicken da. Blick auf die Uhr, trommeln auf der Tischplatte, Erinnerungen daran, wie es noch war, als man sich allmorgendlich im Konferenzraum versammelte, so ganz in echt und im Reallife, vor Corona, vor Teams. Mist, Kaffee vergessen, wenn’s nur nicht wieder ewig geht.

Der Chef vom Dienst Matthias Bäkermann eröffnet die Sitzung: „Sind alle da? Dann können wir loslegen.“

Stein: „Moritz fehlt noch.“ Der Chef greift zum Telefon, es ist auf Lautsprecher gestellt. „Moritz, wo bist du?“

Schwarz: „Ja, Moment, ich hatte noch Probleme mit dem Rechner, aber jetzt geht’s.“ Zeitgleich erscheint nun auch der Kollege Moritz Schwarz mit Video bei Teams. Same procedure as every day …

Bäkermann: „So, wenn jetzt alle an Bord sind, können wir ja beginnen. Wir sollten auch nicht zu viel Zeit verlieren.“ Die letzten Worte gehen unter im gluckernden Geräusch eines sich füllenden Wasserglases.

Chef: „Kann bitte, wer gerade nicht redet, sein Mikrofon ausstellen?“ Beim trinkenden Kollegen erscheint blitzartig das Symbol eines ausgeschalteten Mikrofons.

Bäkermann: „Wie weit sind wir mit dem Aufmacher, ist der bestellt?“ Der zuständige Seitenredakteur bewegt die Lippen, doch es ist kein Ton zu vernehmen. Stimme aus dem Off: „Mikrofon anmachen!“

„Ach so, ’tschuldigung. Also, der Aufmacher ist bestellt, soll Montag vormittag kommen.“

Bäkermann: „Prima. Gibt es schon Kurzkommentare, die wir vergeben können?“

Es fallen gleich mehrere Themenvorschläge, aber da mehrere Kollegen gleichzeitig sprechen, ist keiner davon zu verstehen. „Bitte immer nur einer, also nacheinander.“

„Wir müssen unbedingt was zum Grünen-Hype machen!“ – „Wer kann das machen?“ – „Paulwitz?“

Niemand antwortet.

Der Kollege im Homeoffice zündet sich eine Zigarette an. Neidvolle Blicke der rauchenden Fraktion im Büro.

Ein anderer Kollege krault Redaktionshund Rudi auf seinem Schoß. In der internen Whatsapp-Redaktionsgruppe wird ein Foto von James-Bond-Bösewicht Blofeld mit Katze herumgeschickt. Lach-Smiley. Grinsen auf einigen Kollegengesichtern.

Chef: „Bitte während der Konferenz die Handys lassen.“

Bäkermann: „Gut, beauftragen wir Paulwitz.“

Zum stellvertretenen Chefredakteur Thorsten Thaler, der am Nachbarschreibtisch sitzt: „Hast du dein Mikrofon an? Es hallt so, wenn ich spreche.“

Thaler: „Nee.“

Bäkermann: „Aber warum hallt das dann so?“

Thaler: „Also ich hab’ mein Mikrofon aus!“ Während der Satz in den Kopfhörern der Teilnehmer verhallt, erscheint bei Thaler das Symbol des durchgestrichenen Mikrofons auf seinem Video-Bild.

Chef: … (Lippen bewegen sich, kein Ton).

Vorsichtiger Kollege: „Chef, ich glaube, Sie müssen Ihr Mikro anmachen.“

Chef: „O Mann, können mich jetzt alle hören? Was ich sagen wollte: Müssen wir nicht diese #allesdichtmachen-Geschichte noch weiterdrehen. Das ist doch ein Aufreger! Hat jemand diesen irren Kommentar dazu gelesen. Ich schick den mal rum.“

Tippt ins Handy, worauf bei allen Redakteuren eine eingehende Whatsapp-Nachricht erscheint. Einige greifen zum Mobiltelefon, andere zögern noch, unsicher, schließlich ist Konferenz, also Handy-Verbot.

Bäkermann: „Gute Idee, das kann doch Hinz noch verarzten.“

Chef: „Was meinst du Thorsten?“

Thaler: … (lautlos bewegende Lippen). 

Aus dem Off: „M I K R O F O N !!!“

Thaler: „Äh ja, ich bin da ganz bei dir, Dieter.“

Bäkermann: „Okay, gehen wir noch schnell durch. Moritz, was macht das Interview?“ Schwarz will antworten, wird aber unterbrochen. „Du mußt dein Mikrofon anmachen.“

Schwarz: „Ja! Moment, das dauert halt kurz. Also Interviewtermin ist heute um 15 Uhr.“

Bäkermann: „Politik?“

Christian Vollradt: „Alles, wie hier steht, eventuell schiebe ich die KSK-Geschichte noch um eine Woche.“

Chef: „Christian, wieso ist bei dir eigentlich kein Bild zu sehen?“

Vollradt: „Keine Ahnung, ich hab’ die Kamera an.“

Bäkermann: „Ist doch jetzt egal! Themenseite?

Christian Rudolf (mit Bild, aber ohne Ton) nickt. Seine Körpersprache deutet an, daß die Seite „im Fluß“ ist.

Bäkermann: „Ausland?“

Curd-Torsten Weick: „Wird morgen fertig.“ (Ist jetzt doppelt zu hören, weil Rudolf, der im gleichen Raum sitzt, nun ebenfalls sein Mikrofon angemacht hat.)

Erste Blicke auf die Uhr. Schon halb elf durch. Heimliches Surfen im Internet.

Bäkermann: „Wirtschaft?“

Jörg Fischer: „Da schreibt Professor Meyer die große Kolumne.“

Bäkermann: „Du mußt näher ans Mikrofon, Jörg.“

Fischer: „SCHREIBT PROFESSOR MEYER!“

10.42 Uhr: Mal bei Twitter gucken, E-Mail schreiben, Blick aus dem Fenster.

10.47 Uhr, Bäkermann: „Kommen wir zum Schluß. Gibt’s Vorschläge fürs JF-Intern?“

Björn Harms: „Die neue Kaffeemaschine.“

Bäkermann: „Nee, dann denken die Leser wieder, bei uns ist die Fettlebe ausgebrochen.“

Gil Barkei: „Was zum Redaktionshund.“

Fischer: „Tiere kommen immer gut an.“

Thaler: „Tiere sind eh die besseren Menschen.“

Aus dem Off: „Und Umweltschutz ist Heimatschutz!“

Martina Meckelein: „Ich schreib das gern!“

Bäkermann: „Gut, dann machen wir das so. Dann haben wir’s. Bis Montag, 10 Uhr.“

Nach und nach verschwinden die Gesichter der Kollegen aus der Sitzung, verstummen die Stimmen. „Tschüüüß“. „Bis morgen!“ „Frohes Schaffen!“

Chef: „Matthias, Thorsten bleibt ihr noch kurz auf Sendung, dann können wir die Titeloptik besprechen.“

Thaler: „Bäke ist schon raus.“

11.05 Uhr, JF-Whatsapp-Gruppe: „Wir könnten doch auch mal ein JF-Intern schreiben, wie so ’ne Redaktionskonferenz per Teams abläuft.“

11.06 Uhr: „Lieber nicht!“

11.07 Uhr: Plemplem-Smiley.

Foto: Lächeln verboten: Ausschnitt aus einer JF-Redaktionskonferenz per Videoschaltung