© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Zsolt Balla. Am kommenden Montag tritt der erste Militärrabbiner der Bundeswehr seinen Dienst an.
Des Kaisers Erbe
Sandro Serafin

Nach gut hundert Jahren haben die deutschen Streitkräfte ab dem 21. Juni wieder einen Militärrabbiner. Zu Kaisers Zeiten gab es rund dreißig, darunter der bekannte Leo Baeck. Zsolt Balla heißt dessen erster Bundeswehr-Nachfolger, und der 42jährige war schon einmal Teil einer Premiere: 2009 wurden er und ein Kollege als erste in Deutschland ausgebildete orthodoxe Rabbiner seit 1938 ordiniert. Mehr als zehn Jahre später wird Balla nun  Militärbundesrabbiner, was einem Militärbischof entspricht. Dabei hat sich Balla (hebräischer Name: Mordechai Elieser) gar nicht um das Amt des obersten jüdischen Militärseelsorgers beworben, sondern wurde vom Zentralrat der Juden ausgewählt. Die Anstellung von Rabbinern für die Truppe war bereits 2019 zwischen Verteidigungsministerium und Zentralrat vereinbart worden.

Der gebürtige Ungar entstammt einer assimilierten Familie. Erst als er sich mit neun Jahren für einen katholischen Bibelkurs begeisterte, klärte die Mutter ihn über sein Judentum auf. Nach dem Studium in seiner Vaterstadt Budapest kam der Wirtschaftsingenieur 2002 nach Deutschland, um an einer Jeschiwa, einer jüdischen Hochschule, mehr über seine Religion zu lernen. Am Ende wurde daraus eine Ausbildung zum Gelehrten. Seit 2009 ist er Rabbiner in Leipzig, seit 2019 sächsischer Landesrabbiner. In Interviews betont der dreifache Vater seine positive Beziehung zur Armee. Er selbst diente nicht, aber sein Vater war Oberstleutnant in Ungarn. So bekam er bereits als Kind einiges vom Soldatentum mit. Heute beklagt er, daß viele Leute die wichtige Rolle des Militärs für eine freie Gesellschaft unterschätzten.

„Baruch HaSchem – Gott sei Dank – steht die deutsche Armee heute auf der guten Seite der Geschichte.“

Die wohl häufigste Frage, die Balla derzeit zu hören bekommt, ist die nach der Zahl der Juden in der Bundeswehr: „Wie viele gibt es eigentlich, daß es eines Rabbiners bedarf?“, wollte auch der Moderator eines orthodoxen israelischen Radiosenders vor drei Wochen von ihm wissen. 150 bis 300, schätzte Balla. Der Interviewer hakte nach und wirkte dabei etwas ungläubig: „Für 150 Juden braucht es einen Oberrabbiner?“

Doch Balla will seine Aufgabe nicht von Zahlen abhängig machen. Die Arbeit als Militärrabbiner sieht er auch als Signal. Er hofft, daß sich in Zukunft mehr Juden für die Bundeswehr entscheiden. Abgesehen davon beabsichtigt er, sein Wirken breit anzulegen, nicht nur bei religiösen Handlungen und koscherer Verpflegung behilflich zu sein. Insbesondere den „lebenskundlichen Unterricht“ für alle Soldaten erwähnt Balla immer wieder. Er fürchtet, daß Streitkräfte „Ort von Radikalisierung“ sein können und will Antisemitismus bekämpfen. In der Vergangenheit hatte Balla unter anderem die AfD in Sachsen scharf kritisiert und ihr einen Angriff auf die Religionsfreiheit vorgeworfen, weil sie ein Schächt- und Beschneidungsverbot forderte. Nach der dortigen Landtagswahl, bei der die Partei über 27 Prozent holte, sprach er von einem „besorgniserregenden“ Ergebnis.

Ob er als Jude nicht einen Konflikt spüre, die deutsche Armee zu unterstützen, fragte die Times of Israel den Sohn einer Holocaust-Überlebenden jüngst. „Wir haben eine historische Distanz, die Zeit hat einiges verändert“, antwortete der. Gerade seine Mutter sei stolz auf ihn. Zuvor hatte Balla an anderer Stelle bekräftigt: „Baruch HaSchem (Gott sei Dank) steht die deutsche Armee heute auf der guten Seite der Geschichte.“