© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Niedersachsens Wut
AfD: Wollen Vorstandsmitglieder im Land zwischen Ems und Elbe parallele Strukturen gegen die eigene Partei errichten?
Christian Vollradt

Führende Funktionäre, die an den gewählten Gremien der Partei vorbei demokratisch nichtlegitimierte Strukturen aufbauen wollen? Ein Vorstand, der die Chancen der eigenen Landesliste für die kommende Bundestagswahl bewußt torpediert? Erneut sorgte Niedersachsen-AfD mit einer ganzen Reihe negativer Schlagzeilen für Furore. „Chaostruppe“ lautet bei manchem innerhalb der eigenen Partei schon augenrollend das Verdikt, wenn auch nur der Name des Verbands fällt. Am Montag dieser Woche hat der Bundesvorstand der AfD Sanktionen gegen mehrere Vorstandsmitglieder aus dem Land zwischen Ems und Elbe verhängt. 

Was war passiert? Bereits am 20. Februar hatten sich in einem Gasthof in Verden an der Aller etwa zwanzig Mitgelieder der niedersächsischen AfD getroffen, um zu diskutieren, wie man an den offiziellen Gremien der Partei vorbei Strukturen schaffen könnte, um sich für Abstimmungen besser zu organisieren. Das Ganze solle dem Vorbild des auf Geheiß des Bundesvorstands offiziell aufgelösten Flügels folgen, weswegen gegen die Veranstalter nun der Vorwurf erhoben wurde, sie wollten „alte Flügelstrukturen reaktivieren“. 

An dem Treffen nahmen auch sieben Mitglieder des Landesvorstands teil, „darunter als maßgebliche Wortführer die stellvertretenden Landesvorsitzenden Stephan Bothe und Uwe Wappler, weiterhin der Beisitzer Thorsten Althaus.“ Ebenfalls anwesend war der ehemalige Landesvorsitzende und derzeitige außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Armin-Paulus Hampel. Den konspirativen Charakter der Versammlung unterstreicht die Tatsache, daß zu Beginn alle Mobiltelefone einkassiert wurden. Man kenne schließlich die AfD und wolle verhindern, daß dann irgendwann ein Mitschnitt auftauche. Pech für die Veranstalter. Offenbar hatte einer der Teilnehmer vorgesorgt – und ein zweites Gerät für Aufnahmen dabei. So existiert ein insgesamt rund drei Stunden langer Mitschnitt des Treffens, bei dem die verschiedenen Redner gut identifizierbar sind. Mittlerweile liegen die Aufnahmen nicht nur dem Bundesvorstand der AfD, sondern auch verschiedenen Medien vor, darunter der JUNGEN FREIHEIT.  

„Wir vermuten, du bist auch ein Verräter“

Anlaß für das Treffen war offenbar die recht niederschmetternde Bilanz des „patriotischen“ Lagers. Zwar hatte man mit Jens Kestner an der Spitze im Herbst den Landesvorstand komplett erobern können; doch die Aufstellungsversammlung zur Wahl einer Landesliste für den Bundestag im Dezember hatte bewiesen, daß mit dem Austritt der Kestner-Vorgängerin Dana Guth mitnichten ein grundsätzlicher Wechsel der Mehrheiten vollzogen war. Sämtliche Listenplätze gingen an die innerparteilichen Widersacher (JF 51/20).

Nun also wolle man, so einer der Redner bei der Versammlung von Verden „Vernetzungsarbeit in den Kreisverbänden betreiben“, ohne Wissen der jeweiligen Vorstände, und auch weitere Treffen des sogenannten Patriotischen Lagers organisieren, und „hundert Prozent“ konspirativ und an den Strukturen der Partei vorbei. Hierfür wurden im Laufe des Treffens „Koordinatoren“ für zwanzig Kreisverbände berufen – nicht gewählt. Naheliegend, daß das Erinnerungen weckt. „Ich beglückwünsche uns dazu, daß wir die alten Flügel-Strukturen wieder reaktiviert haben“, meinte denn auch während des Treffens Landesvorstandmitglied Thorsten Althaus unter Beifall der Teilnehmer „Genau das, was wir gerade gemacht haben, war die Struktur des Flügels in Niedersachsen“, so Althaus weiter. „Genau das Vorgehen ist auch das Vorgehen des Flügels gewesen.“

Und der Stellvertretende Landesvorsitzende Stephan Bothe stellte zudem die Weitergabe von Mitgliederdaten in Aussicht. Für die Kritiker, die den Vorgang ans Licht brachten, eine klare Aufforderung, gegen den Datenschutz zu verstoßen. Bothe legte das besondere Augenmerk zudem auf das, woran es offenbar bei vielen vor allem hakt: aufs Geld. „Wenn es da Probleme gibt beispielsweise bei der Abholung ... dann meldest du dich bei uns. Bei der mittleren Führungsebene. Und sagst, du hast hier drei Leute, die können sich aber die Reise nicht leisten.“ Wer für den Bundestag kandidiere und auf einen Listenplatz wolle, der „ist dann auch bereit, diesen Bus zu stiften – und das hat auch nichts mit Korruption zu tun“, sagte der Landtagsabgeordnete im Mitschnitt. 

Sein Vorstandskollege Uwe Wappler, Fraktionsmitarbeiter im Bundestag mit größeren Ambitionen, tat unterdessen der Versammlung seine Ideen für den Umgang mit innerparteilich Andersdenkenden kund: Man müsse „quasi, wie die heilige römische Inquisition, Leute vorladen und sagen, ‘du mein Freund, ich weiß genau, du hast mit dem was vereinbart und entweder du gestehst jetzt, weil der hat schon gestanden und das schreiben wir jetzt gemeinsam auf.’ Und dann gehe ich danach mit dem Zettel zu ihm und sage, ‘so mein Freund, dein Freund, dein Kumpel, der hat schon gesungen, wenn du jetzt auch singst, erhältst du einen Gnadenerlaß und zwei Jahre Ämtersperre und dann ist wieder gut’“. Und der im Dezember bei der Listenaufstellung gescheiterte Kandidat wurde noch deutlicher: „Jeder, der Anhänger von Dana Guth ist und das offen gewesen ist, den bekämpfen wir persönlich. Nach dem Motto, du bist ein Helfer einer Verräterin und wir vermuten, du bist auch ein Verräter.“

Der Landesvorsitzende Jens Kestner ging mittlerweile auf  Distanz zu seinen Kollegen. Es gebe keine Parallelstrukturen an der Partei vorbei, „und das wird es mit mir in Niedersachsen auch nicht geben“, beteuerte der Bundestagsabgeordnete im NDR. Auch sein Vize Bothe wies in einer Erklärung die Behauptung zurück, es habe sich in Verden um die Reaktivierung des „Flügels“ gehandelt. Niemand habe die Absicht gehabt, parallele Strukturen an der Partei vorbei aufzubauen. Vorstandsbeisitzer Althaus hingegen legte bereits seinen Posten nieder. Gegen ihn, Bothe und Wappler hat der Bundesvorstand nach telefonischer Anhörung Parteiausschlußverfahren beantragt. Wapplers Auftritt in der Telefonkonferenz sei so dreist gewesen, daß sogar ein Bundesvorstandsmitglied mehr als in den zwei anderen Fällen für einen Ausschluß votierte. Wie es aus Teilnehmerkreisen hieß, habe der Stellvertretende Landesvorsitzende vorgerechnet, das gegen ihn nun eingeleitete Verfahren füge ihm einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe einer halben Million Euro zu; das entspricht in etwa der Summe, die ein Bundestagsabgeordneter über vier Jahre an Diäten erhält. Daß er im Dezember leer ausgegangen war, spielte dabei offenbar keine Rolle. Denn weil die Rechtssicherheit der Bundestagsliste vom Landesvorstand in Zeifel gezogen wird, rechnete sich Wappler bis zum Montag gute Chancen aus, es doch noch auf einen aussichtsreichen Platz zu schaffen (JF 20/21).   

Das Thema Landesliste sorgt unterdessen für weiteren Ärger – auch wenn sich der AfD-Bundesvorstand damit erst später wieder befassen wird. Mittlerweile empfiehlt eine eigens einberufene „Kommission für die Gewährleistung rechtssicherer Aufstellungsversammlungen“ den Niedersachsen „die Durchführung einer neuen Aufstellungsversammlung“. Grund: Die Landeswahlleiterin habe mitgeteilt, „daß nicht prognostiziert werden kann, ob der niedersächsische Landeswahlausschuß zu der Auffassung gelangen würde, daß der AfD-Landesverband – obwohl die Ladungsfrist noch lief – organisatorisch zumutbare Maßnahmen unterlassen habe, um alle Parteimitglieder einzuladen. Diese von der Landeswahlleiterin mitgeteilten Bedenken konnten vom Landesvorstand Niedersachsen bislang nicht vollständig ausgeräumt werden.“

Der Landesvorstand hatte behauptet, verantwortlich für die teilweise fehlerhafte Einladung zur Aufstellungsversammlung sei die Bundesgeschäftsstelle. Denn die habe die Landesgeschäftsstelle in Hannover, deren Besetzung nach dem Wechsel an der Spitze des Landesverbands komplett neu war, nicht über ein dafür wesentliches Detail im Umgang mit der digitalen Mitgliederdatei, dem sogenannten „Partei-Manager“ aufgeklärt. „Diese Behauptung des Landesvorstandes Niedersachsen trifft nicht zu“, hatte AfD-Bundesgeschäftsführer Hans-Holger Malcomeß der jungen freiheit mitgeteilt. „Die Bundesgeschäftsstelle trifft keine Verantwortung, da von ihren Mitarbeitern jegliche erforderliche Informationen der Landesgeschäftsstelle Niedersachsen rechtzeitig zur Verfügung gestellt worden sind.“ Der Nachweis dafür sei vom Verwaltungsleiter der Bundesgeschäftsstelle „auch noch einmal detailliert zusammengefaßt und dem Landesverband sowie dem Bundesvorstand zur Kenntnis gegeben worden.“

Auch die Kommission stellt dem Landesvorstand ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: „Mit Erstaunen“ habe man zur Kenntnis genommen, „daß der Landesvorstand offenbar gemeinsam mit den Unterlagen der eingereichten Landesliste bei der Landeswahlleiterin ebenfalls zwei gutachterliche Stellungnahmen eingereicht hat, welche eine ordnungsgemäße Einladung durch den Landesvorstand in Frage gestellt haben“. Der Verdacht, die auf der Wahlliste nicht berücksichtigten Vorstandsmitglieder hätten die Kandidatur des eigenen Verbands bewußt hintertrieben, erhält dadurch neue Nahrung. Hinter vorgehaltener Hand ist schon die Rede von einem längst fälligen Parteiausschlußverfahren gegen Landeschef Kestner. 

Nach der nun ans Licht gekommenen Affäre um das Treffen könne auch bei einer Wiederholung „eigentlich keine andere Liste am Ende herauskommen als die, die wir schon Ende vergangenen Jahres gewählt haben“, ist sich ein niedersächsischer AfD-Funktionär sicher. Kestner und seine Anhänger hätten keine eigene Mehrheit, das Zweckbündnis vom Herbst sei längst zerbrochen. Verden sei kein „privates Motivationstreffen“ und auch kein nostalgisches „Flügelrevival“ gewesen, sondern „ein klarer Verstoß einiger Bedarfspatrioten“ gegen das Gebot der innerparteilichen Demokratie.