© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Ohne Moos kein Stoß
Bundeswehr: Die Truppe ist chronisch unterfinanziert. Mühsam rauft sich die Koalition kurz vor Ende der Legislaturperiode zusammen, um wenigstens ein paar Geräte anzuschaffen
Peter Möller

Es war ein Streit mit Ansage: Anfang des Jahres zogen die ersten dunklen Wolken über dem Berliner Bendlerblock auf und türmten sich zu einer Schlechtwetterfront auf, die drohte, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) die letzten Monate ihrer Amtszeit bis zur Bundestagswahl zu verhageln und der Bundeswehr neues Ungemach in der an Pleiten, Pech und Pannen eh nicht armen Rüstungspolitik zu bescheren.

Wieder einmal geht es um das liebe Geld. Davon hat die Bundeswehr trotz aller Beteuerungen in Sonntagsreden immer noch viel zu wenig zur Verfügung. Seit dem Ende des Kalten Krieges gilt die Truppe als chronisch unterfinanziert – mit fatalen Folgen: überaltertes Material, fehlende Ausrüstung und Ersatzteile, unterfinanzierte Rüstungsprojekte. Die mangelnde Einsatzbereitschaft des Großgerätes sorgt zudem seit Jahren für Schlagzeilen und Stirnrunzeln bei den Verbündeten. Alle Versprechungen, nun aber endlich für eine Trendwende bei der Finanzierung zu sorgen, werden regelmäßig in den Mühlen des Berliner Politikbetriebes zerrieben.

Sogar Abgeordnete der Koalition zeigen sich „verwundert“

Wie verbissen der Kampf um eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Streitkräfte geführt wird, konnte in den vergangenen Monaten auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erleben. Anfang des Jahres sickerte durch, daß Finanzminister Olaf Scholz (SPD) angesichts der immensen finanziellen Belastungen des Bundeshaushaltes durch die Corona-Krise auch der Bundeswehr einen Sparkurs verordnen wolle. Damit drohte den deutschen Verteidigungsausgaben nach einer Steigerung um 3,2 Prozent auf 53,03 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ein neuer Rückschlag.

Bei Kramp-Karrenbauer, die bei den Nato-Verbündeten im Wort steht, die finanzielle Ausstattung der deutschen Streitkräfte deutlich zu erhöhen, läuteten alle Alarmglocken. Anfang Mai verschickte ihr Staatssekretär Thomas Silberhorn eine Liste mit Kalkulationen der derzeit geplanten 35 Großprojekte. Die sei als „eine vorläufige Übersicht“ zu betrachten, als „lebendes Dokument“, da es beispielsweise durch Verzögerungen in den Verhandlungen zu Änderungen kommen könne. Bei 15 dieser 35 aufgeführten Beschaffungsvorhaben sei laut Ministerium die Finanzierung nicht gesichert; in diesen Fällen steht in der Rubrik für den genauen Haushaltstitel lediglich „Bundeshaushalt“. Der Grund für dieses Problem ergebe sich „insbesondere aus dem im Eckwertebeschluß vorgesehenen starken Rückgang der Haushaltsmittel nach dem Jahr 2022“. 

Doch die Offensive der Ministerin kam bei den Haushalts- und Verteidigungspolitikern der Regierungsfraktionen gar nicht gut an. In einem gemeinsamen Brief vom 21. Mai, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, fordern die Abgeordneten Eckhardt Rehberg, Henning Otte (beide CDU) sowie Dennis Rohde und Siemtje Möller (beide (SPD) von Kramp-Karrenbauer „detaillierte Erläuterungen“. Es sei nicht nachvollziehbar, daß eine Finanzierung aus dem entsprechenden Einzelplan nicht leistbar ist, da die Mittel im Haushalt für 2021 zum Großteil schon veranschlagt seien. Und die vier Abgeordneten werden ungewöhnlich deutlich: „Sowohl die mangelnde und verspätete Kommunikation als auch die nicht ausreichende Qualität der Antworten auf die Fragen aus dem parlamentarischen Raum verwundern.“ 

Eine Woche später antwortet die Ministerin und dankte den Abgeordneten „für Ihre Unterstützung der Bundeswehr im Parlament“. Doch zugleich warnte sie in ihrem Brief, der der jungen freiheit ebenfalls vorliegt, davor, daß „kleine und mittlere Projekte, die häufig direkt der Truppe zugute kommen, im Haushalt nicht durch Großprojekte verdrängt werden dürfen“. Denn nach Berechnungen des Ministeriums werden Betriebsausgaben für Gehälter, Versorgungsansprüche oder die Instandhaltung von Kasernen und Gerät in den kommenden Jahren um zwei bis drei Prozent jährlich steigen. Kramp-Karrenbauer befürchtet daher, daß die laufenden Kosten der Truppe das Geld für dringend notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben auffrißt. 

Demnach sei beispielsweise für die Entwicklung des zusammen mit Frankreich geplanten Kampfflugzeugs der 6. Generation im Haushalt bislang nur eine „teilweise Vorsorge“ möglich gewesen. Der Bedarf liege bei knapp 4,5 Milliarden Euro, hinterlegt seien lediglich 330 Millionen Euro bis 2024. Angesichts der geschätzten Gesamtkosten des prestigeträchtigen Projektes in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro bis 2040 ist dieser Betrag kaum der Rede wert. Auch die geplante Kooperation mit Norwegen beim Bau sechs neuer U-Boote (vier für die königlich norwegische Marine, zwei für die deutsche) im Umfang von 4,4 Milliarden Euro sowie der Bau zweier Tankschiffe für mehr als 900 Millionen Euro tauchten auf der Roten Liste aus dem Bendlerblock auf.

Sollte der Etat aber stagnieren oder gar schrumpfen wie vorgesehen, blieben ihr „nur zwei Möglichkeiten des Handelns“, schrieb sie den Parlamentariern: Entweder bekomme die Truppe die Kürzungen direkt zu spüren oder es würde bei den Investitionen in Rüstung gespart. In der Vergangenheit hätten die Soldaten darunter zu leiden gehabt, wenn Großprojekte Vorrang gehabt hätten. Dieser Fehler dürfe sich nicht wiederholen.

Offenbar verfehlte diese Aufstellung mit den gefährdeten Großprojekten nicht ihre Wirkung. Denn in der vergangenen Woche folgte die (vorläufige) Kehrtwende: Kramp-Karrenbauer informierte die Mitglieder des Verteidigungsausschusses darüber, daß sie sich mit dem Finanzministerium und Haushaltspolitikern der Regierungsfraktionen auf mehr Geld für die Bundeswehr bis 2025 verständigt habe.

Geld für prestigeträchtige Rüstungsvorhaben mit Frankreich

Herausgekommen ist ein klassischer Kompromiß: Demnach soll das Verteidigungsministerium ab dem kommenden Jahr mit jeweils einer Milliarde Euro mehr planen können, um vor allem die für die Zusammenarbeit mit den Verbündeten wichtigen Großprojekte auf den Weg bringen zu können. Im Gegenzug muß Kramp-Karrenbauer ihren Etat umschichten, um andere Beschaffungsprojekte zu ermöglichen. Durch den Kompromiß wäre der Weg frei für 27 der ursprünglich 35 Rüstungsvorhaben, die Kramp-Karrenbauer noch vor der Sommerpause und damit vor dem Ende der Legislaturperiode durch den Bundestag bringen wollte. Wie lange dieses Finanzierungskonzept halten wird, werden indes die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagwahl am 26. September zeigen.

Daß mit dieser vorläufigen Finanzierungslösung erst einmal Ruhe in die Bundeswehr einkehrt, würden sowieso nicht einmal dir größten Optimisten behaupten. Denn nach wie vor lebt die Truppe von der Hand in den Mund. Das muß derzeit vor allem die mit 63.000 von insgesamt 184.000 Soldaten größte Teilstreitkraft, das Heer, erfahren. Obwohl es in den aktuellen Nato-Planungen am stärksten gefordert ist und laut Zusage der Bundesregierung dem Bündnis bis 2032 drei zum intensiven Gefecht befähigte Divisionen mit insgesamt neun Brigaden zur Verfügung stellen soll, hatte es an den vom Bundestag gebilligten Rüstungsvorlagen der Bundeswehr von 2018 bis 2020 in Höhe von 26,335 Milliarden Euro nur einen Anteil von 13 Prozent, wie die Welt am Sonntag unter Berufung auf eine Statistik des Verteidigungsministeriums berichtet. 

Kein Wunder, daß das materiell ausgezehrte Heer es derzeit nur unter größten Anstrengungen schafft, bis 2023 der Nato überhaupt eine gefechtsbereite Brigade zur Verfügung zu stellen. Die Zahl von drei Divisionen gilt in der Bundeswehr daher derzeit als völlig utopisch. Solange in Berlin prestigeträchtige internationale Rüstungsvorhaben wie die deutsch-französische Kampfflugzeugentwicklung Vorrang haben, dürfte sich an dieser Situation auch wenig ändern.





Kommando Spezialkräfte bleibt

Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr bleibt bestehen. Wie das Verteidigungsministerium am Dienstag mitteilte, hat Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) entschieden, daß die Einheit in reformierter Weise im Dienst bleibe. „Klar ist, daß wir die einzigartigen militärischen Fähigkeiten brauchen, die im KSK vorhanden sind. Geht der Verband den eingeschlagenen Weg konsequent weiter, wird er auch künftig ein strategisches Instrument der Sicherheitsvorsorge im nationalen Rahmen und im Verbund mit unseren Partnern sein“, sagte die Ministerin. Sie habe sich davon überzeugt, „daß im Verband ein positiver Wandel eingesetzt hat und der überwiegende Teil der Soldatinnen und Soldaten die Reformen mitträgt und aktiv umsetzt“. Auch habe es seit Beginn der Reformen keinen weiteren rechtsextremen Verdachtsfall im Verband gegeben. Ab dem 1. September wird Brigadegeneral Ansgar Meyer den bisherigen KSK-Befehlshaber Markus Kreitmayr, der den Verband drei Jahre lang geführt hatte, turnusgemäß ablösen. Gegen Kreitmayr ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der Amnestie-Affäre (JF 10/21), in der Soldaten Straffreiheit zugesichert worden war, wenn sie entwendete Munition freiwillig zurückgeben. (krk)