© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Stich und Hieb – und kein Lieb’
Paul Rosen

In Bonn hatte ein humorvoller Gastronom ein kleines Spezialmenü auf seiner Speisekarte: Unter der Bezeichnung „Regierungskrise“ konnten Gäste ein Glas Wasser, ein trockenes Brötchen und eine Kopfschmerztablette erhalten. Im heutigen Berlin würde diesen Humor kaum noch jemand verstehen. Denn egal, was sich Union und SPD in ihrer Großen Koalition, die längst zu einem großen Gefängnis geworden zu sein scheint, an die Köpfe werfen, es passiert einfach – nichts.

So hatte jüngst etwa die SPD-Vorsitzende Saskia Esken Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Rücktritt nahegelegt, nachdem berichtet worden war, Spahn habe angeblich minderwertige Corona-Masken an Obdachlose oder Behinderte ausliefern lassen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte die Angriffe auf den Gesundheitsminister vorbereitet und Spahn vorgeworfen, „Prüfstandards abzusenken, um anderweitig beschaffte Masken bei den Verteilaktionen auch in den Verkehr bringen zu können“. Das habe sein Ministerium abgelehnt, weil die Sicherheit dieser Masken nicht gewährleistet gewesen sei. Heil ließ wissen, er habe sich durchgesetzt.

Die Debatte kochte derart hoch, daß sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel sich veranlaßt sah, Spahn zu unterstützen und ihn vor Kritik der SPD in Schutz zu nehmen. Die Vorwürfe gegen den Gesundheitsminister seien „von Fakten einfach nicht gedeckt, um es mal ganz vorsichtig zu sagen“, erklärte die Kanzlerin im CDU-Bundesvorstand. CDU-Chef Armin Laschet reagierte ebenfalls gereizt: „Was Frau Esken da macht, hat mit Anstand nichts zu tun.“ Selbst die CSU mischte sich im bekannten Dampfhammer-Ton ein. Generalsekretär Markus Blume nannte die SPD eine „Krawallpartei“. 

Egal, bei welchem Thema: Nur zu gerne fallen SPD und Union wenige Monate vor der Bundestagswahl, die nach allen bisherigen Erwartungen zur Scheidung der Koalitionspartner führen wird, übereinander her. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wollte einen Stich gegen die Grünen setzen, nach deren Vorstellungen der Benzinpreis drastisch steigen soll, um das Klima zu schützen: „Wer jetzt immer weiter an der Spritpreis-Schraube dreht, der zeigt, wie egal ihm die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind“, sagte Scholz. 

Der Schuß gegen Scholz kam von hinten – vom Koalitionspartner. „Benzin wird teurer, jetzt ein bißchen, in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts wird es richtig teurer“, polterte CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus gegen die SPD. Brinkhaus hatte allerdings nicht nur die SPD im Visier, sondern dürfte seinen Beitrag als Flankierung für die Grünen, den vielleicht künftigen Koalitionspartner verstanden haben.

Bei so vielen Hieben gegeneinander stellt sich natürlich die Frage, wann es den großen Knall geben und die Regierung zerbrechen wird. Doch danach sieht überhaupt nichts mehr aus. Eine Sitzungswoche des Bundestages steht noch an, in der man sich mit Mühe und Not zusammenraufen dürfte.