© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Angst in Suhl
Diebstähle, Einbrüche, Körperverletzungen: Reportage rund um die schlagzeilenträchtige Erstaufnahmeeinrichtung im thüringischen Suhl / Anwohner schildern ihre Not – und wie sie sich von der Politik alleingelassen fühlen
Martina Meckelein

Wind streicht durchs Geäst der Tannen und Fichten. Vereinzelt hallen Schüsse vom Schießstand von unten aus dem Tal hoch auf den Berg am südlichen Rand des Thüringer Waldes. Die Sonne brennt. Niemand würde sich wundern, wenn Herbert Roth um die Ecke käme und trällerte sein Rennsteiglied: „Diesen Weg auf den Höhen bin ich oft gegangen, Vöglein sangen Lieder.“ Aber es kommt niemand, und in der Ferne kräht nur ein Hahn. Es ist auch niemand auf der Straße. Niemand sitzt und verweilt. Wo auch? Es gibt keine Parkbank, keinen Supermarkt, kein Café – rein gar nichts hier in Suhl-Friedberg.

Plötzlich lautes und hartes Lachen. Eine Männergruppe stapft schwerbepackt mit Plastiktaschen voller Lebensmittel den Berg von der Suhler Innenstadt hoch. Sie werfen sich erschöpft auf den Rand einer Böschung, unterhalten sich laut in einer unverständlichen Sprache. Es sind Bewohner der Erstaufnahmestelle Suhl. Seit 2014 werden hier Flüchtlinge untergebracht. Seitdem ist auf dem Höhenzug nichts mehr, wie es mal war. Krawalle, Diebstähle, Einbrüche, sexuelle Belästigungen – die Suhler leben hier in Angst. Sie fordern die Schließung der Unterkunft. Doch das verhindert die rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow. Die JUNGE FREIHEIT war vor Ort.

„Wir haben doch ein Recht auf Ordnung und Sicherheit“

„In den letzten acht Wochen ist es hier wirklich prekär geworden“, sagt Mario Keiner gegenüber dieser Zeitung. Wir sitzen in seinem Büro, der Suhler hat einen Kfz-Betrieb auf dem Friedberg. Das Flüchtlingsheim ist nur einige hundert Meter Luftlinie entfernt. „Ich wohne direkt neben meiner Werkstatt, schlafe keine Nacht mehr ruhig, habe hier Bewegungsmelder und eine Alarmanlage installiert. Meine Freundin lasse ich nicht einmal mehr den Rasen mähen. Da schauen ihr die Flüchtlinge von der Straße aus zu.“ Keiner hat mit Anwohnern einen Patrouillendienst gegründet. „Wir haben uns Handys, Taschenlampen und stichsichere Westen zugelegt, gehen damit Streife.“

Aber nicht nur das. Der Patrouillendienst führt Tagebuch, schreibt tabellarisch auf, was an Auffälligkeiten wahrgenommen worden ist. Dabei fotografieren sie seltsames Verhalten einiger Heimbewohner. „Schauen Sie sich das an“, fordert eine Frau auf, die ungenannt bleiben möchte, und zeigt ihr Handy. Zu sehen sind Heimbewohner, die Fotos machen. „Wenn man nicht genau hinschaut, glaubt man, sie machten Selfies von sich“, erklärt Torsten Schilling, ebenfalls alteingesessener Suhler, der mit im Patrouillendienst läuft. „Wenn wir dann, wenn die weg sind, uns genau dort positionieren, wo zuvor der Heimbewohner stand und in die Richtung fotografieren, haben wir lauter einsame Häuser im Blick.“ Schilling ist sich sicher: „Die baldowern zuvor die Objekte so aus.“

Um das Gelände des Flüchtlingsheimes herum ist ein hoher Metalldrahtzaun angebracht. Konnte man früher noch durch den Drahtzaun durchschauen, verdeckt jetzt ein grüner Sichtschutz den Blick. „Hier kommen Sie nicht rein, absolutes Fotografierverbot“, sagt ein durchaus netter Wachmann an der Pforte in unüberhörbarem Thüringer Dialekt. Warum hier nicht mehr fotografiert werden darf? Er zuckt die Schultern. „Die Anweisung ist noch nicht so lange her“, meint er zum Abschied.

Wer glaubt, daß Mario Keiner oder Torsten Schilling überreagieren, der muß sich nur die Polizeistatistik anschauen. Was die Friedberger in den letzten Jahren hier durchmachen, ist heftig. In die Schlagzeilen geriet Suhl erstmals im August 2015. In dem mit 1.800 statt vorgesehenen 1.200 Flüchtlingen extrem überbelegten Heim kam es zu schwersten Ausschreitungen. Grund: Religiöse Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Bewohnern. 125 Polizisten waren im Einsatz. Bilanz: Sechs zerstörte Streifenwagen, die Einsatzzentrale des Wachschutzes im Heim völlig demoliert, 17 Verletzte, vier davon Polizisten. Laut der Zeitung Die Welt zeigte der Ministerpräsident damals Verständnis für die Flüchtlinge: Es handele sich um hochtraumatisierte Menschen, die aus Kriegssituationen kämen. „Sie sind alle Opfer“, so Ramelow. Er könne verstehen, daß die Emotionen hochkochten, wenn verschiedene Ethnien und religiöse Gruppen aufeinanderträfen. Er toleriere aber überhaupt nicht, „daß man einen Koran zerreißt und in eine Toilette schmeißt“.

Die Zahlen der Landespolizeidirektion Erfurt, die diese exklusiv der JUNGEN FREIHEIT zusammengestellt hat, sind zur Beschwichtigung ungeeignet. Demnach sind seit Eröffnung der Erstaufnahmestelle Suhl im Jahr 2014 bis Mai dieses Jahres 1.051 Straftaten begangen worden, die die Polizei Heim­insassen zuordnet. Im selben Zeitraum zählte die Polizei 1.616 Verstöße gegen asylrechtliche Bestimmungen. „Dabei war das im ersten Jahr noch ein gutes, wirklich nettes Zusammenleben mit den Heimbewohnern“, erinnert sich Keiner. „Die waren hilfsbereit, ruhig, nett und höflich.“ Warum die Situation umschlug, weiß er nicht.

Ist das Objekt Suhl bundesweit eine Ausnahme? Nein. Sammelunterkünfte, in denen Flüchtlinge untergebracht sind, zeigen einen erhöhten Anteil an Kriminalität. „Je größer die Unterkunft, desto mehr Probleme gibt es oftmals“, so der Mediendienst Integration. Zur Zeit ist die hessische Erstaufnahmeeinrichtung Gießen (2.000 Plätze) ebenfalls ein Kriminalitätsschwerpunkt. 905 Polizeieinsätze in 2020, im Jahr zuvor waren es laut FAZ 451 Einsätze.

Immer wieder werden Politiker nach schlagzeilenträchtigen Straftaten in dem Heim von der Presse zitiert: Eine rote Linie sei massiv überschritten, kommentierte zum Beispiel der damalige Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne) die ersten Ausschreitungen. Immerhin war er vor Ort. „Ich wünschte mir sehr, daß jetzt unsere Landespolitiker einmal einen Tag mit uns hier erleben würden“, sagt Keiner. „Sie sollten einmal mit uns hier rumlaufen.“ Man kann die Angst, aber viel mehr noch die Empörung über die aktuellen Zustände, die die drei Suhler empfinden, förmlich mit Händen greifen. „In einem Haus wurde neunmal eingebrochen.“ „Bei einer alten Frau standen sie direkt an ihrem Bett.“ „Es gibt alleinstehende Damen, die trauen sich nicht mehr, alleine im Haus zu leben.“ „Wir haben doch ein Recht auf Ordnung und Sicherheit.“

Auch bei Torsten Schillings Mutter wurde eingebrochen. „Das war morgens um 5.45 Uhr.“ Drei Täter seien es gewesen, zwei, sagt er, schnappte die Polizei. „Doch was sollen die Beamten machen? Die Typen haben oftmals dieselben Vornamen und alle das gleiche Geburtsdatum.“ Auf die Beamten vor Ort lassen alle drei nichts kommen. „Die Polizisten sind klasse“, sagt Keiner. „Denen ist kein Vorwurf zu machen, die sind immer für uns da. Aber die können auch nicht überall sein.“

Dabei ist das grundsätzliche Problem der Thüringer Polizei ihr Personalmangel. Ein seit Jahren sich vollziehender Aderlaß. Laut Thüringer Innenministerium gibt es 6.800 Polizeibedienstete, davon 5.743 Polizeivollzugsbeamte. „Das sind 1.000 Polizisten zu wenig“, so ein Beamter zur JF. Um so mehr ist das Engagement der Beamten der Polizeiinspektion Suhl hervorzuheben. Die Sicherheitslage in Suhl ist regelmäßig Thema in polizeiinternen Beratungen. „Erhöhte sichtbare Polizeipräsenz, konsequentes Einschreiten und bürgerfreundliches Agieren der eingesetzten Beamten sind nur einige ergriffene Maßnahmen“, erklärt Antje Weißmann, Pressesprecherin der Landespolizeidirektion Erfurt, gegenüber der jungen freiheit. Beamte stehen den Bürgern für Präventions- und Einbruchsschutzberatungen zur Verfügung. Fußstreifen, auch mit Hunden, sind unterwegs. Drei Polizeibeamte sind ständig in dem Heim vor Ort eingesetzt.

Seit den jüngsten Medienberichten sind einige Anwohner auf dem Friedberg vorsichtig geworden, wenn die Presse Fragen stellt. „Wissen Sie, ich will nicht in die rechte Ecke gestellt werden“, sagt ein Monteur gegenüber der JF. „Aber es ist unbestritten, wir hatten hier monatelang meist Datschenaufbrüche, wir haben seit vier Wochen erhebliche Probleme mit Wohnungseinbrüchen.“ Worin sieht er die Probleme? „Die Flüchtlinge langweilen sich, wollen nicht in Quarantäne bleiben, klettern dann über die Zäune. Wer soll die alle kontrollieren? Die haben zu wenig Wachpersonal.“

Die Erstaufnahmeeinrichtung wurde in den Gebäuden der ehemaligen Offiziersschule der DDR-Grenztruppen errichtet. In den folgenden Jahren entstand hier ein Gewerbepark. Seit Februar 1992 beheimatet ein ehemaliges Unterkunftsobjekt der Offiziershochschule das Suhler Stasiunterlagenarchiv. Allerdings schlossen mit der Zeit der einzige Supermarkt und das einzige Restaurant. Wer hier kein Auto hat, ist auf den Bus angewiesen. „Mit dem will aber kaum jemand abends fahren“, so ein Anwohner. „Die Busfahrer haben Angst, jetzt fährt abends ein Sicherheitsdienst mit.“

Leerstand, Wegzug und schlechter Ruf belasten

Heute kämpft der Wohnpark Friedberg um jeden neuen Mieter für die sanierten Plattenbauten, in denen früher die Familien der Grenzer lebten. Die Wohnungsangebote sind verlockend: Drei Zimmer, Einbauküche, Bad, Balkon für 230 Euro Kaltmiete. Dazu den kostenlosen Sonntags-Brötchendienst, Shuttlebus, Leihwagen, Einkaufsservice, alles ebenfalls gratis. Trotzdem haben viele Klingelschilder in den sanierten Plattenbauten keine Namensschilder. „Ach, wissen Sie“, sagt ein Mitarbeiter der Verwaltung, „Friedberg hat einen schlechten Ruf bekommen, seit das Heim da ist.“ Unvorstellbar, daß Suhl-Friedberg einmal als eine der besten Adressen galt. „Heute fallen hier die Grundstückspreise“, sagt eine Anwohnerin. „Zahlt uns eigentlich die Politik diesen Werteverfall?“

Suhls Oberbürgermeister André Knapp (CDU) hatte sich im Oktober vergangenen Jahres gegen eine weitere Flüchtlingsaufnahme in der 35.000 Einwohner zählenden Stadt ausgesprochen. Nach den Ausschreitungen 2015 wurde die Zahl der Bewohner reduziert. Im Oktober 2020 lebten noch 600 Menschen in dem Heim. Nach dem Brand im griechischen Moria wollte die Landesregierung wieder 500 weitere Flüchtlinge aufnehmen. Und wäre damit an die Belastungsgrenze des Heimes gegangen. Am 19. April startete eine Onlinepetition und forderte die Schließung des Heimes. „Aufgrund der stetig ansteigenden Strafdelikte durch Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung muß die Einrichtung umgehend geschlossen werden.“ Die Begründung: „Die Anwohner und Bürger der Stadt können und wollen die Erstaufnahmeeinrichtung nicht weiter tolerieren. Die Strafdelikte häufen sich. Die Politik ignoriert die Interessen der Suhler Bürger.“

Hans-Georg Maaßen fand in dem Youtube-Talkformat „Live aus dem Fernsehzimmer“ am Montag deutliche Worte. Der CDU-Politiker bewirbt sich im Wahlkreis Suhl um ein Mandat für den Bundestag. „Ich bin der Meinung, man darf sich das nicht bieten lassen, was da passiert.“ Maaßen hatte nach eigener Aussage zuvor den Friedberg erkundet. „Migranten, die in Deutschland sind, haben sich an Recht und Gesetz zu halten. Wenn sie das nicht tun, müssen sie wirklich in den Knast gehen oder müssen nach Hause. Was hier stattfindet, ist auch zu Lasten der Bevölkerung, daß diese Leute da ihr Unwesen und ihre Straftaten begehen können.“

Foto: Eingeschlagene Scheibe: Symbol für ausufernde Kriminalität und das zerbrochene Vertrauen in die politisch Verantwortlichen