© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Mal schauen, wie lange es hält
Israel: Die neue Links-Rechts-Regierung will das Land ändern
Sandro Serafin

Bei den Wahlen im April 2019 erlebte Naftali Bennett eine herbe Niederlage. Mit einer neuen Partei hatte sich der Rechtspolitiker breiteren Rückhalt holen wollen. Doch der Plan scheiterte grandios, Bennett flog sogar aus dem Parlament. Zwei Jahre später ist der 49jährige Tech-Millionär plötzlich Regierungschef des Staates Israel – und das obwohl sich an seiner politischen Stärke seitdem nicht allzuviel geändert hat, zumindest nicht, wenn man sie an den Wählerstimmen mißt: Knesset-Mitglied ist er zwar wieder, doch bei den Wahlen im März 2021 holte seine Jamina („Nach rechts“) nur gut sechs Prozent.

Daß eine so kleine Partei den Premierminister  Israels stellt, ist ein Novum. Erklären läßt es sich nur mit der innenpolitischen Blockade, in der sich das Land seit Anfang 2019 befand. 

Drittstärkste Partei stellt Ministerpräsidenten

Vier Wahlen in Folge brachten keine konsistente Koalition hervor, weder mit noch gegen Benjamin Netanjahu, an dem sich die Geister scheiden. Der Langzeitpremier hatte gehofft, einstige Verbündete aus dem rechten Lager, die sich persönlich von ihm entfremdet haben, durch den Wahlmarathon zermürben und zurück auf seinen Schoß locken zu können. 

Am Ende erreichte er das Gegenteil: Um eine fünfte Wahl zu vermeiden und „König Bibi“ abzusetzen, haben sich die abtrünnigen Rechtsparteien, drei an der Zahl, nun auf ein unkonventionelles Projekt eingelassen. Bennetts Bedingung dafür war, daß er selbst Premier wird, zumindest für einen Teil der Legislatur.

Kurios an der neuen Regierung ist nicht nur die Tatsache, daß an ihrer Spitze nicht der Chef des stärksten, sondern des nach Wahlergebnis drittstärksten Koalitionspartners steht. Auch ihre Zusammensetzung ist beispiellos: Mit dabei sind zwei Parteien aus dem sozialistischen, zwei aus dem zentristischen und drei aus dem rechtskonservativen Lager sowie erstmals auch eine anti-zionistische arabische Fraktion, die ihre ideologischen Wurzeln in der Muslimbruderschaft hat. Nun sitzt also an der einen Seite des Koalitionstischs eine eingefleischte Feministin, die gerne die hebräische Sprache gendert, während an der anderen Seite ein Islamist Platz nimmt, der sich gegen jedes LGBT-Gesetz sperrt. Jetzt müssen Politiker miteinander auskommen, von denen die einen Siedlungen im Westjordanland grundsätzlich ablehnen, während die anderen diese gerne zu israelischem Staatsgebiet erklären würden.

Benjamin Netanjahu warnt vor „gefährlicher Regierung“

Bennett kann in dieser Konstellation nur ein schwacher Erster unter Gleichen sein. Daß die linken Parteien ihn in sein Amt hievten, ist dennoch erstaunlich. Der modern-religiöse vierfache Vater sieht sich auch in Abgrenzung zu Netanjahus politischer Flexibilität als Vertreter der „ideologischen“ Rechten: wirtschaftspolitisch liberal, sicherheitspolitisch strikt, insgesamt konservativ. Überdurchschnittlichen Rückhalt hatte der einstige Chef des Siedlerrates, der selbst in einer Stadt nördlich von Tel Aviv wohnt, bis jetzt vor allem im Westjordanland.

Die Meinungen über das neue Bündnis gehen weit auseinander. Liberale Israelis zeigen sich euphorisch. In Tel Aviv versammelten sich am Sonntag Hunderte, um die Ablösung Netanjahus zu feiern. Einige sehen das Projekt als Signal der Kooperation und Toleranz. Doch fraglich ist, wie lange es hält. In der Knesset hat die Regierung keine absolute Mehrheit, kam nur durch eine Enthaltung ins Amt. Sie wird versuchen, sich vor allem mit möglichst unideologischen Vorhaben zu befassen. Oppositionschef Netanjahu schwört seine Anhänger und die Partnerparteien derweil auf einen erbitterten Kampf gegen die „linke, gefährliche Regierung“ ein. Er weiß dabei nach wie vor viele Wähler auf seiner Seite.