© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Was nicht auf Linie liegt, wird ignoriert
Museum der Bundeswehr: Eine Fallschirmjäger-Ausstellung in Dresden wird von Generälen scharf kritisiert
Paul Leonhard

Die Tragik der deutschen Fallschirmjäger zeigt ein einziges Foto, aufgenommen am 15. Januar 1945 von einem US-Kriegsreporter in der Nähe des belgischen Weywertz: Ein junger blonder Obergefreiter hält den Handrücken abwehrend vor sein Gesicht. Er will im Moment der Gefangennahme nicht fotografiert werden. An seinem blauen Waffenrock unter dem Knochensack sind neben dem Band des EK II, das Reichssportabzeichen, das Leistungsabzeichen der Hitlerjugend und das Fallschirmschützenabzeichen zu erkennen.

Brigadegeneral spricht von einem „Zerrbild“ 

Mit diesem auf schwarzweiß reduzierten Farbfoto als Plakat wirbt das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden für seine Sonderschau „Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger“. Nach langer pandemiebedingter Wartezeit können sich nun endlich seit voriger Woche alle Interessierten selbst ein Bild von einer Ausstellung machen, die schon vor ihrer Eröffnung gewaltig Staub aufgewirbelt hat.

Denn aus Sicht von Stefan Geilen (59), Brigadegeneral und Vorsitzender des Fördervereins des Museums der Deutschen Fallschirmjägertruppe und der Garnisonsgemeinde Altenstadt/Obb., zeichnet sie ein „Zerrbild der Fallschirmjägertruppe“. In dieser grundsätzlichen Einschätzung stimme er mit Generalleutnant a. D. Hans Werner Fritz, Präsident des Bundes Deutscher Fallschirmjäger (BDF), überein, so Geilen in einem Rundschreiben an die „lieben Kameraden“ des Fördervereins, in dem er zusammenfaßt, was die verzerrten, grundlegenden Aussagen der von Magnus Pahl kuratierten Schau sind: „Die Fallschirmjägertruppe rekrutierte sich überwiegend aus Görings SA- und Polizeischergen der frühen 30er Jahre ohne militärische Expertise und aus weiteren NS-Organisationen. Das Profil der Truppe entsprang eher allgemeinen NS-Vorstellungen und Görings Geltungssucht als militärischer Zweckmäßigkeit. Ihre militärischen Leistungen im Krieg wurden fast ausschließlich auf Nebenkriegsschauplätzen erbracht und waren höchst zweifelhaft, wurden aber von der NS-Propaganda zu großartigen Siegen stilisiert. Sie war stark in Kriegsverbrechen involviert. Ihre ‘Helden’ waren durch Goebbels oder sich selbst ‘inszeniert’ etc. pp. Nach dem Krieg gelang es, diesen Fallschirmjäger-Ungeist zu erhalten und in die frühe Bundeswehr zu transportieren.“

Das Museum selbst verspricht auf seiner Internetseite, daß die Ausstellung und ein illustrierter Begleitband „auf der Basis neuer Quellen und bislang unveröffentlichter Fotos eine Neubewertung einer von Legenden umrankten Truppengattung der Wehrmacht vornehmen“ werden.

Vergleich mit den Soldaten in Afghanistan

Pahl gehe dabei sehr geschickt vor, konstatiert Geilen: „Seine Fakten sind höchst einseitig, aber unangreifbar, genau wie seine Formulierungen. Was nicht auf seiner Linie liegt, wird ignoriert.“ Dazu kommt, daß der Kurator sowohl beim Förderverein als auch beim BDF als an der Sache interessierter ehemaliger Offizier aufgetreten sei und der Verein daher einige seiner „Schätze“ nach Dresden ausgeliehen habe.

Geilen verweist aber auf die Widersprüche in Pahls Argumentation. So sei schon der Titel „Hitlers Elitetruppe“ unpassend, weil der Kurator die Fallschirmjäger ausdrücklich als „Görings Ziehkinder und Goebbels’ Lieblinge“ beschreibe, während Hitler selbst „nie besonders viel von dieser Truppe gehalten habe“, sogar ihren vorgesehenen Einsatz an der Ostfront verboten habe.

Für militärgeschichtlich interessierte Durchschnittsbürger verbinden sich mit den deutschen Fallschirmjägern des Zweiten Weltkrieges – populärwissenschaftlichen Fernsehdokumentationen geschuldet – vor allem die operative Luftlandeschlacht um Kreta (Unternehmen Merkur) 1941, die Befreiung des gestürzten italienischen Faschistenführers Mussolinis, die verlustreichen Kämpfe bei Monte Cassino gegen einen personell und materiell übermächtigen Gegner 1944 und vielleicht noch die Kämpfe der Fallschirmjäger in der Normandie, in der Ardennenoffensive und im Endkampf um Berlin.

Tatsächlich sind die Fallschirmjäger eine relativ junge Waffengattung, die erst Mitte der 1930er Jahre entstand. Als erstes begeisterte sich die Führung der Roten Armee an der Vorstellung, Einheiten hinter den feindlichen Linien abzusetzen, um strategisch wichtige Brücken, Flugplätze und Verkehrsknoten einzunehmen oder schwer einnehmbare Befestigungen zu umgehen und aus dem Hinterland anzugreifen. Wie später die deutschen mußten auch die sowjetischen Fallschirmjäger einen hohen Blutzoll zahlen, so bei den Operationen in Bessarabien, gegen Finnland und später gegen Deutschland, weil operativ-taktische Fehler begangen wurden und beide Länder daraufhin auf weitere massive Luftlandeeinsätze verzichteten.

Daß gerade die Einsätze auf Kreta und die Schlacht um Monte Cassino bis heute nachwirken, sei ihm schnell klargeworden, als er 2001 seinen Dienst als Chef des Stabes der damaligen DSO antrat und damit in unmittelbaren Kontakt zu den Fallschirmjägern der Division kam, so BDF-Präsident Hans-Werner Fritz in seinem Vortrag „Tradition und soldatisches Selbstverständnis“ am Tag der Fallschirmjäger im September 2017 in Altenstadt. Daß diese Einsätze noch heute im Bewußtsein einer nicht geringen Zahl junger Fallschirmjäger sind, liege in einem „tief emotionalen Element, nämlich dem Andenken an den Opfermut, die Tapferkeit und die Entschlossenheit im Kampf, der diese zum Teil blutjungen Soldaten auszeichnete“.

In seinem damaligen Vortrag erinnerte der Generalleutnant a.D. sowohl an den militärischen Widerstand gegen Hitler, der aus seiner Sicht undenkbar gewesen wäre, wenn sich nicht die beteiligten Offiziere „auf die moralischen und ethischen Wurzeln preußisch-deutscher Militärtradition und die darin enthaltenen Tugenden besonnen hätten“. Noch deutlicher fällt sein Vergleich mit den Soldaten in Afghanistan aus. Diese Soldaten hätten „im Kampf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht an das Grundgesetz gedacht, sondern sich eher uralten soldatischen Werten wie Tapferkeit, Kameradschaft bis in den Tod, Gehorsam und Loyalität verpflichtet“ gesehen. Unverständlich sei ihm, daß der Wahlspruch der Fallschirmjäger, „Treue um Treue“, der das gegenseitige Treueverhältnis von Soldaten und Dienstherrn beinhaltet, mit einem Verbot belegt wurde: „Wir Fallschirmjäger sollten auf jeden Fall weiter daran arbeiten, daß unser Motto wieder in den richtigen historischen Kontext gestellt wird.“

Wohl auch deswegen haben Förderverein und BDF davon Abstand genommen, Exponate vorzeitig zurückzufordern oder zu einem Boykott des Dresdner Museums aufzurufen: „Besser sei, sich selbst ein Bild von der Ausstellung zu machen und gegebenenfalls die eigene Sicht der Dinge im Gespräch, im Gästebuch, im Netz etc. unaufgeregt deutlich zu machen“, schreibt Geilen. Zumal Pahl eine rote Linie nicht überschreitet: Die heutige Fallschirmjägertruppe, der BDF und der Förderverein werden in der Schau nicht diffamiert. Und was die Aufbaugeneration der Bundeswehr-Fallschirmjägertruppe und die Verteidigung einer „anerkannten Traditionslinie der Bundeswehr“ betrifft: „Wir sollten darauf vertrauen, daß unsere ausgestellten Exponate auf die Besucher aus sich heraus wirken, unabhängig davon, was auf irgendwelchen Tafeln dazu geschrieben wird.“

Die Ausstellung läuft bis Januar 2022 im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden, täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr. Ein Besuch ist jedoch nur nach vorheriger Anmeldung möglich. Telefon: 03 51 / 823-28 50/28 51. Das Begleitbuch mit 240 Seiten und 336 Abbildungen ist im be.bra Verlag, Berlin, erschienen und kostet 26 Euro.

 www.mhmbw.de

Foto: Weihnachtsgeschenk des Kriegsberichterstatterzuges des XI. Fliegerkorps für Hauptmann Erich Langguth, Deutsches Reich, 1942: Eine relativ junge Waffengattung; Anhänger zur Treuekette, Italien, 1944/45: Wahlspruch der Fallschirmjäger; Gefangener Fallschirmjäger verdeckt Anfang 1945 sein Gesicht; Fallschirm RZ 36 („Rückenfallschirm Zwangsauslösung“), 1943–1945