© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/21 / 18. Juni 2021

Der Flaneur
Endlich baden
Paul Leonhard

Bis zu den Knien geht es ganz schnell. Auch bis zu den Oberschenkeln. Daß mir das Wasser kurz darauf bis über den Bauchnabel reicht, liegt daran, daß der Schlick unter mir nachgegeben hat, immerhin habe ich die Balance gehalten. Etwas mühsam, aber es hat keiner hingesehen. Für Sonntagmittag und Sonnenschein ist es seltsam leer am Baggersee. Vielleicht weil die Lokalzeitung „Badeverbot“ getitelt hatte und keiner mehr den Text gelesen hat. In dem war lediglich davon die Rede, daß die Verwaltung keine öffentliche Badestelle einrichten wird. Also, so schlußfolgere ich, gilt weiterhin der Status quo: Jeder macht, was ihm gefällt, solange es keinen anderen belästigt.

Ein Wasserskifahrer beschwert sich über die plötzlich abgestellte Drahtseilanlage.

„Eh Alter, was’n das jetzt“, stöhnt es plötzlich genervt. Verstört schaue ich in Richtung des Rufers, aber ich bin nicht gemeint. Ein Halbstarker liegt sichtlich schockiert im Wasser und tastet nach seinen Wasserski. „Die können doch nicht einfach die Anlage abstellen.“ Haben sie aber. Der junge Mann paddelt prustend ans Ufer. Wie zum Hohn beginnt das Drahtseil wieder zu laufen, zischen andere auf ihren Boards und Skiern vorbei. Eine Stehpaddlerin hat Mühe, ihren Standpunkt zu sichern, weil die an der Haltestange hängenden Vorfahrt haben und überdies mehr Tempo.

Ich stehe seit einer Viertelstunde still. So still, daß ein Entenpärchen gemütlich zwischen mir und dem Ufer daherschwimmt. Die dicke Luise ist eingetroffen und erzählt der hageren Helga, daß es heute bei ihr Kartoffelmus mit braunen Zwiebelringen gab und sie sich den Bauch so voll geschlagen habe, daß sie erst jetzt zum See kommen konnte. Helga breitet ihre Finger aus, zwei neue Ringe habe sie. Ich erfahre, daß sie sich passend zu den Jahreszeiten immer etwas Neues kaufe, und zum Frühsommer passe Pastell.

Ich schwenke die Arme, taste mit den Füßen und tauche ein paar Zentimeter tiefer. Eine blasse Schwangere ist innerhalb einer Minute im See verschwunden und schwimmt bereits mit kräftigen Zügen. Dann dreht sie sich auf den Rücken und lacht zu ihrem dürren Freund, der schlotternd am Ufer steht. Jetzt faßt er sich ein Herz und hechtet zu ihr. Ich habe es inzwischen auch bis zum Hals geschafft und spüre eine angenehme Kühle. Dann lasse ich mich fallen und schwimme los.