© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Macht der guten Lobbyisten
Drahtzieher mit gefälligem Anstrich: Der starke Einfluß von NGOs untergräbt unser Gemeinwesen
Michael Paulwitz

Nichtregierungsorganisationen. Das klingt freundlich und unverfänglich, nach Bürgerstolz, Staatsferne und uneigennützigem Engagement für das Gemeinwohl, so ähnlich wie die „Zivilgesellschaft“, die diese Organisationen zu repräsentieren vorgeben. Doch die harmlosen Begriffe täuschen. Der Begriff Zivilgesellschaft hat seine Unschuld verloren, seit der Marxist Antonio Gramsci sie zum Schlachtfeld des Kampfes um die kulturelle Hegemonie erklärt hat, die der Erringung der politischen Macht in der Gesellschaft vorangehen müsse. In diesem kulturmarxistischen Ringen um die Vorherrschaft sind „Nichtregierungsorganisationen“ die entscheidenden Akteure.

Der Begriff selbst ist schon irreführend. Die Staatsferne eines Interessenverbandes, der einen signifikanten Teil seiner Einnahmen, wenn nicht gar einen Großteil seines Budgets aus öffentlichen Zahlungen und Zuschüssen bestreitet, dazu noch Aufträge und Honorare von staatlichen Stellen entgegennimmt, ist mehr als fragwürdig.

Die Geldströme fließen aus allen möglichen steuerfinanzierten Kassen auf vielen politischen Ebenen, von Bundes- und Landesministerien bis hinunter zu kommunalen Förderprojekten. Ein beträchtlicher Teil der Ausgaben für „Beraterhonorare“, die gerade im Bundeshaushalt in den letzten Jahren enorm angeschwollen sind, fließt ebenfalls in die Tätigkeit von Lobbyorganisationen, die trotz alledem unter dem „zivilgesellschaftlichen“ Etikett von „Nichtregierungsorganisationen“ firmieren.

Doch selbst überwiegend oder gar ausschließlich spendenfinanzierte Einflußgruppen können beträchtliche gesellschaftliche und politische Macht entfalten, gerade wenn sie auf dem weiten Feld so hehrer Ziele wie „Umweltschutz“ oder „Klimarettung“ unterwegs sind und Narrenfreiheit jenseits der für andere geltenden Strafgesetze in Anspruch nehmen. Vorsätzlicher Rechtsbruch unter öffentlichem Applaus ist seit Jahrzehnten etwa das Erfolgsmodell von „Greenpeace“, um gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erregen und die Heerscharen der Spender und Unterstützer zu motivieren.

Die halsbrecherische Attacke eines „Greenpeace“-Propagandafliegers auf das Münchner Olympiastadion vor einem EM-Länderspiel war nur ein weiterer Schritt in einer Eskalationskette, die gezielt die Grenze zum Öko-Terrorismus überschreitet. Die Reaktionen auf frühere Taten konnten die aktivistischen Rechtsbrecher eher noch als Ermunterung verstehen. Auf den vorangegangenen Massendiebstahl von Autoschlüsseln für versandfertige Exportfahrzeuge antwortete der Volkswagen-Konzern noch mit lahmen Anbiederungsversuchen. In der Hauptstadt erinnert man sich noch an den gemeingefährlichen Anschlag mit dreieinhalb Tonnen gelber Farbe auf den Verkehrsknoten Großer Stern. Die Ermittlungen zogen sich über Jahre hin, verurteilt wurde bis heute keiner der Täter.

Das in diesem Fall offenkundige Justizversagen ist Ausdruck einer klammheimlichen Kumpanei zwischen „zivilgesellschaftlich“ getarnten Propagandisten linker und grüner Ideologie sowie großen Teilen von Politik und Medien, die ihren Zielen wohlwollend bis begünstigend gegenüberstehen. So hat sich das Vorurteil verfestigt, negativ assoziierter „Lobbyismus“ liege nur vor, wenn traditionelle Industrien oder das große Geld im Spiel seien.

Kohle-, Atom-, Waffen- oder Bankenlobby sind so zu Kampfbegriffen geworden. Dagegen ist es unüblich, mit ähnlich negativer Konnotation von Windkraft-, Umwelt- oder Klima-Lobbyisten zu reden, obwohl gerade mit deren Geschäftsmodellen nicht nur viel Geld in die Taschen weniger geleitet wird, sondern auch staatliche und ökonomische Strukturen im Dienst von Partikularinteressen umgebaut und manipuliert werden.

Das begünstigt Meinungs- und Deutungsmonopole, die rationale Diskurse und fairen Wettbewerb bereits im Ansatz ersticken. Lobbyinteressen wie die Propagierung von Elektromobilität, der Ausstieg aus grundlastfähigen Methoden konventioneller Stromerzeugung, die Umstellung auf „erneuerbare“ Energiequellen und andere planwirtschaftliche Projekte, die sich unter dem Oberbegriff „Klimaschutz“ versammeln, sind zu dogmatischen Glaubenssätzen von solcher Durchschlagskraft geworden, daß kein relevanter politischer, wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Akteur noch wagt, sich ihnen offen zu widersetzen.

Aus diesem quasi-totalitären Anspruch ergibt sich eine kuriose Konstellation. Während in herkömmlichen diktatorischen Systemen der entgrenzte Staat sich anmaßt, allem seine Sprech- und Denk­regeln überzustülpen, diktiert hier eine meinungsführende Klasse Staat und Gesellschaft die Regeln des Denk-, Sag- und Machbaren und stellt sie in den Dienst ihrer ideologischen Ziele.

Wer dabei wen instrumentalisiert, kann im konkreten Fall verschwimmen. Die Bereiche durchdringen sich gegenseitig, wenn Lobbyisten von ihren grün-linken Gesinnungsfreunden auf politische und Verwaltungsposten gesetzt, deren Organisationen mit finanziellen Mitteln, Stellen und Pfründen ausgestattet und obendrein mit Sonderrechten und Befugnissen wie Verbandsklagerechten bedacht werden, die ihnen noch weiterreichende Einflußnahme und Interessenverfolgung gestatten.

Bedient sich also der Staat ausgesuchter „Nichtregierungsorganisationen“ und scheinobjektiver Einrichtungen mit wissenschaftlichem Anstrich, wenn Politiker „Klimaschützer“ wie Verhandlungspartner auf Augenhöhe behandeln, dem Abmahnverein „Deutsche Umwelthilfe“ seinen Feldzug gegen den Verbrennungsmotor ermöglichen, die Internetzensur an mit Steuergeld unterstützte Einflußorganisationen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung delegieren oder ein mit Staatsmitteln großgemachtes Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Vorlagen für radikale volkswirtschaftliche Umbauvorhaben liefern lassen? Oder benutzen grün-linke Ideologen solche Organisationen, um ihre auf den üblichen repräsentativ-demokratischen Wegen kaum mehrheitsfähige Agenda durchzudrücken und zur Staatsraison zu erheben?

Gleich wie die Bewertung ausfällt: Der demokratisch legitimierten Willensbildung und Entscheidungsfindung entsteht dadurch schwerer Schaden. Lobbyismus bedarf im Normen- und Verfassungsstaat strenger und wirksamer Kontrollmechanismen. Und das gerade dann, wenn er im Gewand von Heils- und Glaubenslehren mit ideologischem Absolutheitsanspruch auftritt.