© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

„Woll’n für uns sein“
Linksextreme: Für ein Brandschutzgutachten braucht es in Berlin den Einsatz vom über tausend Polizisten
Martina Meckelein

Die Rigaer Straße 94 ist eines der letzten Symbole der linksextremistischen Szene in Berlin. Ein Rückzugsort für sogenannte „Autonome“ – und das schon seit 30 Jahren. Zur Zeit geht der Verfassungsschutz von 980 gewaltbereiten Linksextremisten in Berlin aus. Anschläge auf Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Nachbarn sind an der Tagesordnung. In den vergangenen Wochen eskalierte die Lage hier im Stadtteil Friedrichshain. Denn eine Brandschutzprüfung war für das Haus durch den Bezirk angefordert worden. 1.450 Polizisten waren im Einsatz.

Vergangenen Mittwoch, 9 Uhr: Hochaufgetürmte Barrikaden in der Rigaer Straße. „Plötzlich liefen Vermummte auf die Kreuzung“, schildert die Mitarbeiterin einer benachbarten Bäckerei das Geschehen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Das Café liegt direkt an der Liebig-, Ecke Rigaer Straße, verkauft ab 5 Uhr morgens Kaffee, Brötchen und süße Stückchen. Die Kreuzung nennen die Linksextremisten Dorfplatz. „Sie schleppten Holz auf die Kreuzung, zündeten es an. Dann rollten sie Reifen hierher. Das ging alles wahnsinnig schnell.“

Erst Gerichte verhelfen dem Hauseigentümer zu seinem Recht

Als die Polizei eingreifen will, werden die Beamten mit Steinen angegriffen. Die Feuerwehr kann aus demselben Grund nicht löschen. Bei der Straßenschlacht gehen Fensterscheiben zu Bruch, auch ein Reklameschild der Bäckerei. Über 60 Beamte werden verletzt. Erst eine Stunde später durchbricht die Polizei die Barrikaden, löscht die Brände mit einem Wasserwerfer.

Der Rückhalt für die Linksextremisten in der meist politisch links-grünen Nachbarschaft nimmt stetig ab. Zu oft werden die Leute selber bedroht. Schon wer nur einen Notarzt alarmiert, wird auf dem linksextremistischen Szeneportal indymedia mit Namen, Adresse und Foto öffentlich gemacht. Familien ziehen aus Angst weg. „Die Solidarität der Berliner wollen wir nicht“, sagt eine der Linksextremisten gegenüber der jungen freiheit. „Wir wollen hier für uns sein.“

Linksextremistische Gewalt bedroht immer stärker die Sicherheitslage in Berlin. Bislang registrierte die Polizei in der Hauptstadt 2.134 Fälle für das Jahr 2020 und 701 Fälle in diesem Jahr. Allerdings handelt es sich hier um eine Eingangsstatistik, das heißt, die Fälle werden ohne Abschluß der Ermittlungen gezählt. „Es ist davon auszugehen, daß für das Jahr 2021 noch nicht das gesamte Fallaufkommen der politisch links motivierten Kriminalität (PMK-links) dargestellt ist, welches sich bisher ereignete“, sagt Polizeisprecher Martin Dams der JF. Die Zahlen werden also voraussichtlich noch steigen. Bei Autobränden sieht die Entwicklung ähnlich aus: 2019 registrierte die Polizei 99 zerstörte Fahrzeuge, 2020 waren es 118, und 2021 sind es bisher 72 Autos.

Seitens der Politik ist keine Entschärfung der Situation zu erhoffen. Seit 2016 sind Probleme beim Brandschutz in der Rigaer 94 bekannt – passiert ist lange Jahre nichts. Nicht mal den Eigentümer wollten Bezirk und Polizei anerkennen. Das taten erst Gerichte. Zwar hatte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg vom Eigentümer der Rigaer Straße 94 ein Brandgutachten eingefordert, dann allerdings vorab selbst eines initiiert. Die Rolle des grünen Baustadtrates Florian Schmidt ist zwielichtig (JF 42/20).

Am vergangenen Donnerstag leistet dann die Polizei auf Ersuchen des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg Amts- und Vollzugshilfe. Ohne Polizeischutz will der vom Eigentümer bestellte Gutachter die Gebäude nicht betreten. Ab kurz nach halb zehn Uhr morgens erkämpfen sich die Polizisten mit Kreissägen und Rammböcken den Zugang, mehr als zwanzig Beamte werden durch Böller und Feuerlöschschaum verletzt. Der Polizei gelingt es, Flure, Keller, Treppenhäuser und Dachgeschosse im Vorder-, Seiten- und Hinterhaus zu sichern. In die 30 Wohnungen dürfen die Beamten nicht, entschied vorab das Oberverwaltungsgericht. 

Unvorstellbar: Zwar werden 34 Strafanzeigen, unter anderem wegen tätlichen Angriffs sowie gefährlicher Körperverletzung aufgenommen, Pyrotechnik, Feuerlöscher und Stacheldraht sichergestellt, doch die Polizei stellt nicht die Identität der Bewohner fest. Die Feststellung ist aber für den Eigentümer zwingend, um eine Räumung einzuleiten. Gegen halb eins mittags kann der Sachverständige endlich das Haus betreten. Es seien zwar Mängel, jedoch „keine gravierenden“ festgestellt worden, heißt es später. Das endgültige schriftliche Gutachten steht noch aus. 

Mutmaßlich hatte die Verwaltung der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann bereits zuvor von Mitarbeitern das Haus auf mögliche Mängel begutachten lassen, damit die Bewohner diese selbst beheben können. Der Trick: Stellt der offizielle Gutachter keine gravierenden Mängel fest, fehlt der Anlaß, das Haus unverzüglich räumen zu lassen … Herrmann zeigte sich anschließend zwar „bestürzt und verärgert“ über die Gewalt, jedoch lehnten es ihre grünen Parteifreunde in der Bezirksverordnetenversammlung ab, deren Urheber als Linksextreme klar zu benennen. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach von „Gangstern“. Bundesweit aufsehenerregende schwere Auseinandersetzungen kommen ihm vor der Abgeordnetenhauswahl im September offenbar ungelegen.