© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Verschnaufpause
Verfassungsschutz: Erfolgreiche juristische Gegenwehr der AfD
Björn Harms / Christian Vollradt

Daß die Akteure der gewaltbereiten linksextremen Szene auf den drohenden Verlust ihrer „Freiräume“ regelmäßig äußerst aggressiv reagieren, wie der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht (JF 25/21) feststellt, ist sicherlich keine Untertreibung – siehe den obenstehenden Bericht. 

Die größte Bedrohung sieht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dennoch nach wie vor im Rechtsextremismus. Begründet wird dies unter anderem mit den Morden von Hanau im Februar vergangenen Jahres, die als rassistisch und fremdenfeindlich motiviert eingestuft werden.

Ein eigenständiges Kapitel widmeten die Mitarbeiter von Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang den „Akteuren der Neuen Rechten“, zu denen sie die Identitäre Bewegung (IB) sowie die jeweils als Verdachtsfall eingestuften Compact-Magazin, „Ein Prozent“ und Institut für Staatspolitik zählen. 

Verdachtsfall ist weiterhin ebenso die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative. Ausschlaggebend für diese Einstufung war unter anderem der Bezug auf den „Großen Austausch“, einen Begriff, der insbesondere in Kreisen der Identitären Bewegung zirkuliert. Die „IB Deutschland“ definiert den „Großen Austausch“ auf ihrer Homepage als „schrittweisen Prozeß, durch den die heimisch angestammte Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht wird“. 

Der Verfassungsschutz spricht in seinem Text von einem „auf Verschwörungstheorien basierenden, zentralen Ideologieelement der IBD, wonach eine nicht näher bestimmte Elite den ‘Austausch’ der einheimischen Bevölkerung gegen Migranten zum Ziel habe“. Dieses ideologische Konzept sei mit der in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierten Menschenwürde nicht vereinbar. Eine Quelle für die Behauptung, die IB spreche von einer Elite, die explizit zum Ziel habe, den „Austausch“ voranzutreiben, gibt die Behörde nicht an. „Als Verursacher bzw. Verantwortliche werden in Veröffentlichungen der IBD regelmäßig Eliten benannt“, teilt der Verfassungsschutz der JUNGEN FREIHEIT auf Nachfrage mit, ohne zu klären, ob „verursachen“ und „zum Ziel haben“ tatsächlich gleichzusetzen sind. 

Dazu verweist der Nachrichtendienst auch auf den österreichischen IB-Aktivisten Martin Sellner, der ein Nachwort im Buch „Revolte gegen den Großen Austausch“ des französischen Schriftstellers Renaud Camus verfaßt hatte. Darin machte Sellner „unsere Eliten, die uns fortgesetzt verraten“, als die „eigentlichen Urheber der Misere“ aus. Gegenüber der JF widerspricht er der Auffassung des Verfassungsschutzes. Die IB vertrete „keine personalisierende Kritik des Bevölkerungsaustauschs“, sondern deute es als „unbestreitbares, direkt wahrnehmbares und mathematisch beschreibbares Phänomen, das aus einem Geburtenrückgang der Einheimischen und einer Ersetzungsmigration durch Fremde resultiert“. Seine Äußerungen bezögen sich auf konkrete „politische Entscheidungen, die wir als Identitäre kritisieren“. Für den Verfassungsschutz steht fest: Ein von der JA selbst auferlegter Elf-Punkte-Plan   zur Mäßigung habe es nicht vermocht, „eine glaubhafte Distanzierung von den für die Einstufung ausschlaggebenden Positionen herbeizuführen“.

„Entgegen allen Unkenrufen kein Verdachtsfall“

Der im März 2020 zur erwiesen rechtsextremistischen Bestrebung heraufgestufte und daraufhin offiziell aufgelöste „Flügel“ der AfD setzt nach Ansicht der Kölner Behörde seine Aktivitäten fort. So lasse sich eine fortgesetzte Beeinflussung der  Gesamtpartei durch dessen Anhänger feststellen, heißt es im Bericht. Vorgeworfen wird insbesondere Funktionären des Personenzusammenschlusses, sie agitierten „kontinuierlich gegen Ausländer vornehmlich islamischen Glaubens“. 

Daß anders als JA und „Flügel“ die AfD als Gesamtpartei nicht im aktuellen Verfassungsschutzbericht aufgeführt wird, verbucht man im Bundesvorstand mit Blick auf den nahenden Bundestagswahlkampf als wichtigen Erfolg. Eine der Ursachen liege ganz offensichtlich auch in der Gegenwehr der Partei. Vergangene Woche erst hatten die Anwälte der AfD beim Verwaltungsgericht Köln eine umfangreiche Replik auf die Klageerwiderung des Verfassungsschutzes eingereicht. Angesichts von Schriftsätzen jenseits der 1.000-Seiten-Marke ließen die Richter bereits durchblicken, daß vor der Bundestagswahl wohl nicht mit einer Entscheidung zu rechnen sei.

„Viele in der AfD gingen ja davon aus, die Verfassungsschutzbeobachtung komme ja sowieso“, meint Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf gegenüber der JF. Daß es „entgegen solchen Unkenrufen“ dank enormer juristischer Anstrengungen gelungen sei, eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, also eine Hochstufung der Partei zum Verdachtsfall, bis auf weiteres abzuwenden, „ist ein Riesenerfolg der parteiinternen Arbeitsgruppe Verfassunsgsschutz“, ist der Rechtsanwalt und Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete überzeugt.

 www.verfassungsschutz.de

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