© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

„Noch lange nicht ausgestanden“
Wirecard-Untersuchungsausschuß: Vorsitzender Kay Gottschalk über das Versagen nahezu aller Aufsichtsgremien
Christian Vollradt

Es ist ein beachtlicher Stapel Papier, der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag übergeben wurde. Der Abschlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses dieser Legislaturperiode. Er behandelte in einem guten halben Jahr die Vorgänge um den Ende Juni 2020 in die Insolvenz gerutschten Zahlungsdienstleister Wirecard, dessen Führungsebene zuvor jahrelang die Bilanzen gefälscht haben soll (JF 25/21). Am Ende fehlten in der Konzernkasse 1,9 Milliarden Euro – der Kurssturz des einstigen Dax-Wunderkinds brachte zahreiche Anleger um Ersparnisse und Altersvorsorge. Etwa 110 Personen hatten die Abgeordneten befragt, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich bei einer Visite in China für das Unternehmen stark gemacht hatte, aber auch die gesamte Führungsebene des Bundesfinanzministeriums. Den ehemaligen Wirecard-Boß Braun ließ man aus der Untersuchungshaft vorführen; seine einstige rechte Hand Jan Marsalek bleibt bis zum heutigen Tage verschwunden. Man vermutet ihn in Rußland oder Weißrußland, er soll über beste Kontakte ins Geheimdienstmileu verfügen, was seine Flucht erleichtert hatte.

„Noch nie so fleißig und kollegial zusammengearbeitet“

Einig waren sich die Ausschußmitglieder darüber, daß der „größte deutsche Finanzskandal der Nachkriegszeit“ nur durch ein „multiples Aufsichtsversagen“ ermöglicht wurde. Angefangen beim Aufsichtsrat des Konzerns über die Wirtschaftsprüfer von EY bis zu Staatsanwaltschaften, vor allem aber der Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin – und dem Bundesfinanzministerium. Dessen Chef, Olaf Scholz (SPD), sei jedoch auf Betreiben seiner Parteifreunde aus der Schußlinie genommen worden, murrten nicht nur die Oppositionsfraktionen, sondern auch CDU/CSU. So weit wie die AfD, den Rücktritt des Finanzministers zu fordern, wollten die anderen jedoch nicht gehen. 

Trotz Sondervoten sei man sich fraktionsübergreifend in den abschließenden Bewertungen zu Dreivierteln einig, betonte Unions-Obmann Matthias Hauer. Sein Kollege Hans Michelbach (CSU) konnte der Wirecard-Malaise in einem persönlichen Resümee sogar etwas Schönes abgewinnen: Nie zuvor in seinen 27 Jahren im Bundestag habe er erlebt, wie in einem Ausschuß alle Mitglieder mit soviel Fleiß und so kollegial zusammengearbeitet hätten. 

Auch der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Kay Gottschalk (AfD), zieht im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT eine durchweg positive Bilanz: 

Herr Gottschalk, der Untersuchungsausschuß über den größten deutschen Finanzskandal der Nachkriegszeit hat seine Arbeit vollendet. Haben Sie wirklich Licht ins Dunkel bringen können, auch dort, wo Presse und Justiz noch nicht genug hineingeleuchtet hatten?

Kay Gottschalk: Der Ausschuß hat mehrere Dinge ans Licht gebracht: Zum einen, daß unsere Behörden, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungssaufsicht (BaFin), ganz schlecht aufgestellt sind, gerade was neue Herausforderungen an den Kapitalmärkten angeht. Es fehlte ganz einfach die ethische Grundhaltung. Das hatte ich gleich zu Anfang der Ausschußarbeit kritisiert, daß einer sich auf den anderen verläßt – und am Ende muß man feststellen: Keiner hat etwas getan. Als zweiter Punkt ist klargeworden. Die Aufsichtsbehörden verlangen sehr viel Kontrolle von ganz normalen Wirtschaftsunternehmen; aber an sich selbst legen sie viel weniger strenge Maßstäbe. Nehmen wir das bekannte Beispiel, daß in der BaFin mit Wirecard-Aktien spekuliert. Und auch der Leiter der Wirtschaftsprüferaufsicht, Ralf Bose, mußte gehen, weil er selbst auch mit Wirecard-Aktien spekuliert hat. Da ist schon so einiges ans Licht gekommen, was mit der vielgerühmten deutschen Behördengründlichkeit und dem, was man mit deutschen Beamten in Verbindung bringt, nichts mehr zu tun hatte. Gerade hier in den Berliner Behörden und Ministerien … 

Irgendwie hatte man von außen das Gefühl, daß die wichtigsten Zeugen entweder schweigen, sich nicht mehr erinnern können oder aber Schwarzer-Peter-Zuschieben spielen. Bringen Untersuchungsausschüsse wirklich etwas?

Gottschalk: Ja, definitiv. Es sind schließlich auch Köpfe „gerollt“: Neben dem bereits erwähnten Herrn Bose mußte auch Bafin-Chef Felix Hufeld, gehen genauso wie seine Stellvertreterin Elisabeth Roegele. Es sind zudem deutliche Reformen angeschoben worden. Die BaFin wird jetzt von einem Schweizer, Mark Branson, neu aufgestellt. Ich gebe ihm einen großen Vertrauensbonus, er hat in der Schweiz gute Arbeit in der dortigen Aufsichtsbehörde Finma geleistet. Er hat das zweispurige Prüfverfahren geschaffen – also da sind wir ein großes Stück vorangekommen. Generell bin ich mir sicher, daß die Leute in den Behörden, auch in der BaFin, jetzt doch mit viel mehr Achtsamkeit vorgehen. Auch die Staatsanwaltschaft hat eine Menge aus dieser Geschichte mitgenommen. Künftig werden sie dort mit Journalisten oder Whistleblowern ganz anders als bisher verfahren. Der Lerneffekt ist enorm. Ich glaube, da haben wir eine ganze Menge in Gang gesetzt – mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) etwa, das die Haftung der Wirtschaftsprüfer deutlich verschärft. Ich glaube aber auch, daß das alles am Ende noch nicht reichen wird, da werden weitere Reformen kommen müssen. 

Wer die Schurken sind, liegt klar auf der Hand. Haben Sie im Verlauf Ihrer Arbeit auch so etwas wie die Helden in dieser Affäre identifizieren können? Gehören vielleicht ein Journalist, eine Leerverkäuferin und eine „kleine“ Bundesbankerin dazu…?

Gottschalk: Ja, Sie haben es eben genannt, das ist einmal die Bundesbankerin Franziska Folter, die ich im Ausschuß schon als solche bezeichnet habe, weil sie da wirklich Mut bewies. Sie hatte frühzeitg das Betrugssystem bei Wirecard durchschaut und ihre Vorgesetzten in einem internen Dossier informiert, was diese jedoch ignorierten. Das sind vor allen Dingen auch Journalisten wie Dan McCrum von der Financial Times, der trotz Bespitzelung und obwohl ihn Wirecard unter Druck gesetzt hatte, weiter recherchierte. Das sind für mich auf jeden Fall Helden. Genauso Martin Mulzer von der Bezirksregierung Niederbayern, der für Geldwäscheprävention zuständig war und dem Probleme bei Wirecard auffielen; der die BaFin in Frankfurt um Koordination gebeten, von dort jedoch mehrere Monate lang keine Antwort erhalten hatte. Da gab es viele, die ihren Job auch wirklich ernstgenommen und Zähne gezeigt haben. Doch diese Leute vermißte man eben in der BaFin. 

Neben Wirtschaftsprüfern, Bankenaufsicht und Politik sind auch ehemalige deutsche Nachrichtendienstkoordinatoren oder österreichische Verfassungsschützer verwickelt. Ist das Ganze in Wahrheit kein Wirtschafts-, sondern ein Geheimdienstskandal?

Gottschalk: Hier bin ich der Meinung, das ist deutlich zu kurz gekommen. Für mich kann daraus nur folgen, daß wir in der nächsten Legislaturperiode einen zweiten Untersuchungsausschuß brauchen. Bei einem Besuch in Wien habe ich gerade angeregt, daß sie im österreichischen Nationalrat auch einen Wirecard-Untersuchungsausschuß einrichten. Und nach dem, was ich von den Kollegen in Österreich gehört habe, konnte ich in nächtlichen Gesprächen zumindest ein paar Kollegen von anderen Parteien überzeugen. Angesichts dessen, was man dort sehen und hören konnte, glaube ich, daß unsere Nachrichtendienste uns nicht die volle Wahrheit aufgetischt haben – das gilt es noch aufzuklären. Es bleibt mein Ziel, in Österreich über Bande zu spielen und genug Druck aufzubauen, daß wir den Untersuchungsausschuß „Wirecard 2“ bekommen. In dem müssen wir tatsächlich genau diese geheimdienstlichen Geschichten beleuchten. Für mich ist dieses Spiel noch lange nicht ausgestanden. 

Zum Abschluß noch: Welche persönliche Bilanz ziehen Sie? Die Ausgrenzung der AfD durchzog die gesamte Legislaturperiode, in der Arbeit des Ausschusses – so hat man den Eindruck – spielte Ihr Parteibuch keine Rolle. Andererseits wollte kein anderes Mitglied mit Ihnen in der Bundespressekonferenz auftreten …

Gottschalk: Die Zusammenarbeit im Ausschuß war hervorragend, sowohl auf der menschlichen wie auf der fachlichen Ebene! Natürlich wurden da am Rande noch einige – ich nenne es mal Rituale – aufrechterhalten. Weil es Fraktionsdruck, parteiinternen Druck durch die Bundesvorstände gibt. Das muß man wohl an bestimmten Stellen akzeptieren. Es gibt fraktionsübergreifend viele gute Leute, mit denen man sehr vernünftig Sachpolitik betreiben und Sacharbeit voranbringen kann. Zum Abschluß haben Kollegen anderer Fraktionen durchaus auch eingeräumt, daß dies nicht zuletzt auch ein Stück weit am Vorsitz in den Sitzungen lag. Denn sonst bekommt man in so kurzer Zeit das, was dieser Ausschuß auf den Weg gebracht hat, eben nicht hin. Also ich denke, es ist uns mit diesem Parlametarischen Untersuchungsausschuß ein Schritt in Richtung Normalität gelungen. Leider wurden unsere Arbeit und die Erfolge ein wenig durch Corona verstellt. Manches haben vielleicht auch die „Leitmedien“ nicht richtig gewürdigt. Aber steter Tropfen höhlt den Stein.

Fotos: Fahndungsplakat nach Ex-Wirecard-Manager Marsalek: „Nicht die volle Wahrheit aufgetischt“; Ausschußvorsitzender Kay Gottschalk (AfD) mit dem Abschlußbericht: „Steter Tropfen höhlt 

den Stein“